Wer glaubt, der große deutsche Erzählroman sei tot, wird eines Besseren belehrt
Reinhard Wosniak gehörte zu den Autor*innen, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Mitte Dreißig und auf dem Sprung in die Literatur waren. Sie verschwanden, bis auf wenige Ausnahmen, alle im Nichts. Reinhard Wosniak hat immer neben seinem Beruf als Ingenieur geschrieben: Romane, Essays, Novellen, Songtexte, Zeitungs- und Rundfunkartikel und manches andere. Kurz nachdem er in Rente ging, ist er schwer erkrankt. Schon "Felonie", den ersten Band, besonders aber "Die Kinder des Mondes" und den jetzt abschließenden dritten Band "Die Nacht der Ameisen" hatte der fast vollständig an den Rollstuhl Gefesselte mühsam mit einer Hand geschrieben, ja, mit einem Finger. Aber er hat die Trilogie - kurz vor seinem Tod im Mai 2020 - vollendet. 1500 Seiten. Zur deutschen Geschichte in Beziehung stehend und gegen den üblichen Strich gebürstet. Erstaunliche Entdeckungen im Schicksal einfacher Leute.
Wahrheiten ... auch und vor allem zur deutschen Einheit.
Nun ist er also da! - Der abschließende Teil von Reinhard Wosniaks Romantrilogie "Die Villa" lag im 30. Jubiläumsjahr der deutschen Einheit, pünktlich zum geplanten Beginn der Leipziger Buchmesse auf dem Tisch. "Die Nacht der Ameisen". - Der Titel ist eine Metapher. Aber dazu später. Zunächst erst einmal entpuppt sich die nunmehr vollständige Trilogie als detailgenaues und authentisches Romanwerk zur deutschen Geschichte - wahrhaftig über drei Generationen und heranreichend bis zur unmittelbaren Gegenwart.Das ist nicht selbstverständlich - denn allzu viele davon gibt es nicht. Die unabhängig voneinander zu lesenden drei Romane folgen einem nicht gewöhnlichen Prinzip: Fast unbemerkt vom Leser wechselt Wosniak die Erzählperspektive, verdichtet oder dehnt den Erzählstoff, geht auch mal ganz außer Landes, um von da (überwiegend von Frankreich aus) überraschend neue Einsichten zu gewinnen. Denn das wird jetzt deutlich: "Die Villa" - das sind Lebensgeschichten vor, während und besonders nach den beiden großen Kriegen und geheimnisvolle Verbindungen mit der Gegenwart, welche trotz aller Modernität ihre Wurzeln nach wie vor im Guten wie im Schlechten der Vergangenheit hat.Und Wosniak hat etwas zu erzählen! "Die Villa" ist im Ganzen - wie es auch ihr nun vorliegender abschließender dritter Teil "Die Nacht der Ameisen" auch im Speziellen ist - zuerst ein spannend zu lesender Familienroman. Man findet sich bei der Lektüre trotz origineller Perspektivwechsel in allen drei Teilen zurecht - die Personnage bleibt erhalten und ist in jedem Band zu erkennen. Auch die Örtlichkeiten sind trotz ihrer äußeren Veränderung in den Zeiten menschlichen Fortschrittes (oder Rückschrittes) zu erkennen: Frohburg in Sachsen, Rostock an der Ostsee und nicht zuletzt die Bretagne - der Teil, den man "Das Ende der Welt" nennt. Wosniak nimmt seine Leser mit auf eine Zeitreise in einem vermeintlich bekanntem Gelände. Man hat das "Erzählkino" genannt - doch Vorsicht: Fallstricke und nicht selten auch Attacken auf doch längst in Schubläden Abgelegtes lauern überall. Bei der Schilderung der Frohburger, der Rostocker und der französischen Verhältnisse gelingen dem Autor wahre Kabinettstückchen. Seine Diktion ist virtuos, manchmal eigenwillig, doch immer ist sie voll von leiser Ironie oder manchmal auch derbem Humor.Irgendwie scheinen sich die Örtlichkeiten in diesem jüngsten Roman Wosniaks "Die Nacht der Ameisen" dennoch aufzulösen - im Zeichen der Globalisierung, im Zeichen der Orientierungslosigkeit und nicht zuletzt im Zeichen eines seltsamen Werteverlustes. Wie finden sich Menschen im nicht zum ersten Mal geeinten Deutschland damit zurecht? - Die Helden straucheln, die Kritik wird lauter - auch gerade da, wo Dankbarkeit erwartet wird. Selbst die Antworten auf das Leben in "Freiheit" unterscheiden sich...Wosniak sucht nach der "Spur unserer Fußsohlen" im Prozess der "Wiedervereinigung" und kann sie so recht nicht finden.
Doch was sind überhaupt ostdeutsche Spuren in einer seltsam zu Ende gekommenen Erhebung? Eine Feststellung dieses Buches bleibt im Gedächtnis: "Die Sieger waren nicht die Gewinner". - Das ist fesselnd zu lesen.Ach so ... die Ameisen. - Sie scheinen sich abzustimmen, kommen erst im Herbst aus ihren Löchern und ändern überhaupt ihre Abläufe, als rüsteten sie zu einer entscheidenden Schlacht um die Zukunft....
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