Unsere Brötchen waren genauso lasch und langweilig wie unsere Visagen !
Lieber Reinhard Wosniak,
wie Du habe auch ich mehrere meiner Titel im SPICA Verlag herausbringen lassen, und das hat seinen guten Grund. Es ist zwar kein großer Publikumsverlag, sondern ein Kleinverlag aus Mecklenburg, der sich etablieren will und um 'gute' Literatur bemüht ist. Leider aber wird denen immer noch der Stallgeruch eines Zuzahlungs- oder Druckkostenzuschussverlags angehängt, was sie nach der Gründung wohl auch mal kurze Zeit waren, aber das ist längst vorbei.
Dagegen wehre ich mich, und das würdest Du, - wärest Du noch unter uns -, ganz bestimmt auch tun. Vor allem muss man auch deshalb gegen dieses falsche, bisweilen immer noch unterstellte Image angehen, weil es kein Geheimnis ist, dass manche Literaturkritiker*innen, die gerne den Marktführern der Branche die Bälle zuspielen, solche Falschinformationen womöglich deswegen in die Welt setzen, um sich auch selbst einen Namen zu machen oder im Gespräch und damit Geschäft zu bleiben. Das ist wie bei einem exklusiven Golfclub, der nur Stars und Reiche aufnimmt; andere haben da nichts verloren oder werden rausgedrängt. Aber sollen sie doch unter sich bleiben! - Bei Spica weiß ich wenigstens, dass das, was ich denke und schreibe, wenn es keine perversen Sauereien oder politisch extremistischen Stoffe sind, nicht zensiert, sondern gedruckt wird, und das ist bei den Marktführern längst nicht so. Selbst ein Böll ärgerte sich zu seiner Zeit darüber und meinte, man würde regelrecht zensiert und zurechtgestutzt.
Nun hat keiner von uns beiden auch nur annährend die Popularität eines Heinrich Böll, aber auch Dir scheint die Freiheit der Gedanken sehr wichtig zu sein. Gerade heutzutage ist bei uns trotz aller vorgegebenen, ja vielfach geheuchelten Liberalität und Toleranz die Meinungs- und Pressefreiheit so gefährdet wie selten zuvor. Die vorgegebene Pressefreiheit ist oft verlogen und wird auch gerne manipuliert. Ein Beispiel: Ich habe gestern mal gegoogelt und wollte wissen, warum unser Land immer noch deutsche Soldaten in Mali kämpfen lässt, was man in den Medien als "humanitärer Einsatz" bezeichnet, obwohl wir in diesem kriegerischen Konflikt de facto mitmachen. Seit dem Rückzugs Frankreichs als ehemaliger Kolonialmacht, haben wir Deutschen unsere Truppen in Mali sogar noch deutlich verstärkt, um diese "Friedensmission" zu einem guten Ende zu führen, wobei es vor Ort desaströs auszusehen scheint. Als Grund dieser "humanitären Aktion" wird dann die Verteidigung europäisch-westlicher Werte angegeben. Aber wer soll das glauben? - Und welche Werte sollen das sein? - Etwa unsere zerfallende und in sich verfaulende Pseudodemokratie mit diesem widerwärtig-nervigen Hickhack unfähiger Politiker*innen? Die Kommentare lassen da schon einiges mehr erkennen und nennen als Einmischungsgründe mehrfach Gold und Uran. Auch die Präsenz der Russen in Mali könnte darauf hindeuten, denn dass es denen, - höchstwahrscheinlich Wagner-Söldner, glaubt man -, nicht um die Menschenrechte geht, dürfte klar sein.
Aber ich wollte eigentlich Dich fragen, lieber Reinhard: In deinem Roman 'Die Nacht der Ameisen' schilderst Du an einer Stelle die fleißigen Ameisen quasi als Pseudonyme für Euer damaliges ostdeutsches System und schreibst auf Seite 14: "Die restlichen Ameisen - es waren die meisten -, mussten in dieser Nacht und sonst überhaupt immer aufpassen oder arbeiten, dass alles glatt ging. - "Das taugt nichts ... bei Ameisen wie bei Menschen", meinte dazu mein Großvater Gustav. [ ... und jetzt kommt's:] Das Einzelwesen galt jedenfalls nichts. Aber man lebte."
Ja, "man lebte" ... Aber war es nicht mehr? Immerhin, schreibst Du, hattet Ihr "gutes Brot" und knackige Brötchen in der DDR, was Du an anderer Stelle erwähnst, aber der Einzelne war ein Nobody und zählte nicht. Das Allgemeinwohl, die Gesellschaft, war eben alles. So ähnlich sagte es auch Deng Xiao Ping einmal, der erklärte: Der Einzelne zähle nicht, die Gesellschaft als ganze und ihr Fortschritt sei alles.
Aber an solchen "Fortschritt" scheinst Du schon damals nicht geglaubt zu haben, auch nicht, dass er laut Marx in der Selbstverwirklichung des Menschen bestanden hätte, wie Euch kurz vor der Wende ein Professor in seinem Vortrag hatte weismachen wollen. Übrigens halte auch ich nicht viel von solchem Fortschritt, selbst dann nicht, wenn er unter westlich-demokratischen Vorzeichen gepredigt wird. Warum? - Weil er immer wieder - wie auch die Globalisierung materiell-ökonomisch verstanden und interpretiert wird und letztlich unausgesprochen auf einem Primat und Vorrang der Materie über dem Geist beruht, den wir damit außer Kraft setzen und plattmachen. Mag der Westen auch hundertmal als ein Paradies auf Erden daherkommen, er ist es nicht, solange die Menschen einer Philosophie des unendlichen Wachstums (ihrer Ökonomien) anhängen und sich selbst als freie Konsumenten diesem Moloch unterwerfen und ihn wie einen Götzen anbeten.
Ich glaube, darin sind wir uns einig. Aber vielleicht hättet Ihr im Osten damals, zur Wendezeit, als man euch "blühende Landschaften" versprochen hatte, einfach misstrauischer sein müssen? - Denn die Freiheit, die wirkliche innere Freiheit, die aus dem Inneren und dem Herzen kommt, konnten wir Euch gar nicht geben, weil wir sie ja selbst nie kennengelernt haben, bis heute nicht. Wir konnten uns zwar alles kaufen und besitzen, aber haben uns darin erschöpft und sind innerlich ganz leer geworden, tot eigentlich. Ähnliche Gedanken habe ich übrigens bei Erich Fromm in "Haben oder Sein" gefunden. Auch er meint, dass die Menschen erst dann zufrieden und glücklich würden, wenn sie nicht nur technisch-ökonomische Fortschritte machen würden, sondern auch ihre degenerierte menschliche Entwicklung mal angingen.
Und auch die "guten, knackigen Brötchen", die ihr im Osten so gerne verfrühstückt habt, hatten wir im Westen nicht. Unsere Brötchen waren genauso lasch und langweilig wie unsere Visagen ...
Herzlichst Dein
Hubert Michelis, ehemaliger Franziskanermönch und Banker, nun freier Schriftsteller
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