PRESSEMITTEILUNG | Gericht: Notare dürfen keine psychologischen Diagnosen stellen
PRESSEMITTEILUNG | Gericht: Notare dürfen keine psychologischen Diagnosen stellen
Demenz und Depressionen sind schwere psychische Erkrankungen, deren genaue Diagnose eine fachärztliche Ausbildung erfordert. Doch gelegentlich schwingen sich Notare zu Psychologen auf und halten in Beurkundungsprotokollen etwa anlässlich einer Testamentserrichtung fest, dass der Erblasser bei vollem geistigem Verstand und deshalb testierfähig sei. Doch damit überschreiten sie ihre Kompetenzen.
Das Oberlandesgericht Hamm hat deshalb einen Notar nicht als Zeugen zugelassen. Dieser sollte im Rahmen einer Beweisaufnahme bezeugen, dass ein über 85-jähriger Erblasser trotz Demenzerkrankung zum Zeitpunkt der Beurkundung voll geschäfts- und testierfähig gewesen sei. Zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung führten die Richter aus, dass ein Notar als Jurist nicht über das notwendige medizinische Fachwissen verfügt, um das Ausmaß einer Demenzerkrankung einschätzen zu können (Aktenzeichen: 10 U 5/20). Auf dieses Urteil weist das Erbrechtsportal „Die Erbschützer" hin.
Vater litt an Gedächtnisschwäche
In dem Fall hatte der Erblasser zunächst mit dem Sohn aus erster Ehe einen Pflichtteilsverzichtsvertrag abgeschlossen und danach seinen weiteren Sohn aus zweiter Ehe zum Alleinerben eingesetzt. Jahre später und mit über 85 Jahren widerrief der Mann den Pflichtteilsverzichtsvertrag vor einem Notar. Als der Sohn aus erster Ehe nach dem Tod des Vaters von dem Sohn aus zweiter Ehe daraufhin den Pflichtteil verlangte, berief sich der alleinerbende Sohn auf die Geschäfts- und Testierunfähigkeit des Vaters zum Zeitpunkt des Widerrufs des Pflichtteilsverzichtsvertrages. Der Notar hatte sich in der Urkunde nicht zu dem Geisteszustand des Vaters geäußert. Der Sohn aus erster Ehe, der wegen des Pflichtteils gegen den Alleinerben vor Gericht zog, wollte den Notar als Zeugen darüber zu Wort kommen lassen, dass der Vater bei dem Notartermin geistig fit gewesen sei.
Das Gericht lehnte den Notar als Zeugen ab und kam aufgrund der eindeutigen Aussagen eines psychiatrischen Facharztes zu dem Ergebnis, dass der Vater seit Jahren unter Gedächtnisschwäche litt und an einer Alzheimer bedingten Demenz litt. Für das Gericht war damit klar, dass der Vater die verschiedenen und teilweise Jahre alten Urkunden aufgrund mangelnden Gedächtnisses nicht mehr unterscheiden konnte.
Beurkundungssituation ungeeignet für fundiere Prüfungen des Geisteszustands
„Der Notar ist nach § 28 BeurkG gehalten, eigene Wahrnehmungen über die erforderliche Geschäftsfähigkeit in der Urkunde zu vermerken, nicht aber Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit positiv festzustellen, wie es immer noch gelegentlich geschieht, denn dazu fehlen ihm das erforderliche Fachwissen sowie die genaue Kenntnis der Vorgeschichte und der medizinischen Unterlagen“, erklärt Prof. Dr. med. Clemens Cording, stellvertretender Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Regensburg a.D., in einer juristischen Fachzeitschrift. Nach Ansicht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Forensische Psychiatrie sei insbesondere auch die Situation der Beurkundung für fundierte Prüfungen des Geisteszustands einer bestimmten Person ungeeignet. „Selbst wenn ein Facharzt für Psychiatrie allein aufgrund der während einer normalen notariellen Beurkundung feststellbaren Tatsachen ein Gutachten zur Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit erstellen würde, würde man dieses zu Recht als unbrauchbar ablehnen“, betont Cording.
Die eigene Nachfolge zu regeln schieben viele Menschen auf die lange Bank. Zu sehr schmerzt die Beschäftigung mit der Endlichkeit. Doch die Verdrängung des eigenen Todes hat ihre Schattenseiten. Erblasser, die zu lange zögern, können dement werden oder an einer schweren Depression erkranken. Dann ist ihr letzter Wille nur noch Schall und Rauch, weil rechtlich anfechtbar.
Notare schaffen vollendete Tatsachen
Nach dem Gesetz kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Doch viele psychische Erkrankungen werden gar nicht erkannt. Zwar muss sich der Notar vor der notariellen Beurkundung eines Testaments von der psychischen Gesundheit des Erblassers überzeugen. Damit ist er allerdings maßlos überfordert. Denn der herbeigerufene Notar ist ein medizinisch-psychiatrischer Laie ohne jede Ausbildung. Beurkundet er aufgrund einer Fehleinschätzung trotzdem, haben die übergangenen oder benachteiligten Erben erst vor Gericht und nur mit eindeutigem Sachverständigengutgutachten die vage Chance, die wirre Erbeinsetzung korrigieren zu lassen. Zwar muss der Notar, wenn Zweifel an der geistigen Fitness betagter Menschen bestehen, einen Sachverständigen hinzuziehen. Doch das geschieht in der Praxis so gut wie nie.
Für den auf das Erbrecht spezialisierten Rechtsanwalt Dr. Sven Gelbke kommt Notaren bei der Testamentserrichtung älterer Menschen eine faktische Macht zu, die in keiner Weise mit Ihrer Ausbildung übereinstimmt und deshalb abgeschafft gehört. „Wenn ein Notar die Testierfähigkeit feststellt, ist es in der Praxis schwer, dieses Urteil wieder aus der Welt zu schaffen. Der Notar schafft so gewissermaßen vollendete Tatsachen. Rechtspolitisch ist das höchst problematisch“.
15 Prozent aller Bürger entwickeln Depressionen
Noch schwieriger diagnostizierbar als Demenzerkrankungen sind Depressionen. Das liegt auch daran, dass die Betroffenen selbst selten spontan über typische Symptome wie Grübeln, Denkhemmungen oder Gedankenkreisen berichten, so dass die Erkrankung vielfach unerkannt bleibt – auch für Notare. Dabei beträgt die Wahrscheinlichkeit, im Laufe eines Lebens an einer Depression zu erkranken, über 15 Prozent. Bei älteren Menschen führen häufig der Tod des Partners, der Umzug in ein Altenheim und schwere Nebenwirkungen bei Erkrankungen zu Depressionen. Auch rein körperliche Ursachen wie ein Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma können Depressionen verursachen. Last but not least begünstigt eine Depression die Entwicklung eines demenziellen Syndroms.
Symptome einer Altersdepression: Von Antriebsmangel bis Wahnvorstellungen
Zu den wesentlichen Symptomen einer schweren Depression gehören Antriebsmangel, kognitive Störungen und Denkstörungen bis hin zu Wahnvorstellungen. Der Antriebsmangel geht häufig einher mit Gewichtsverlust infolge Appetitmangels und der sozialen Isolation. Die negative Stimmung mündet in der Äußerung: Es hat alles keinen Sinn mehr. Die Testierfähigkeit kann hier deutlich eingeschränkt sein, weil wegen der eintretenden Apathie eine freie Willensbildung kaum noch möglich erscheint. Das gilt auch bei kognitiven Störungen, deretwegen der Erblasser im Grunde genommen das Für und Wider einer Erbeinsetzung aufgrund der verzerrten Wahrnehmung nicht mehr abwägen kann. Bei schweren Denkstörungen fehlt es dem Erblasser zudem an der Fähigkeit, Entscheidungen treffen zu können und in der Folge auch danach zu handeln. Hinzu kommen einengende Gedanken und Denkhemmungen, so dass der Betroffene einen Gedanken nicht zu Ende bringen kann.
Mit dem Testament etwas wiedergutmachen
In etwa 20 Prozent der Fälle einer schweren Depression entwickeln die Patienten Wahngedanken und deutlich seltener sogar Halluzinationen. Typisch ist im Zusammenhang mit der Errichtung eines Testaments der Schuldwahn. Hier versucht der Betroffene, eine vermeintliche Schuld gegenüber einer Person dadurch wieder gutzumachen, dass er sie/ihn als Erben einsetzt. Auch die hypochondrische Wahnvorstellung, unheilbar erkrankt zu sein, kann dazu führen, dass der Erblasser schnell ein Testament errichten möchte. Problematisch bei der Diagnose ist auch hier, dass die Personen über ihre Wahnvorstellungen nicht sprechen.
Angehörige helfen bei antriebslosen Erblassern gerne nach
Wegen des mit einer schweren Depression einhergehenden Antriebsmangels kommt es in vielen Fällen erst gar nicht zu einer Testamentserrichtung. Wenn dies doch der Fall ist, liegt das häufig an dritten Personen, die den Erblasser übermäßig beeinflussen und einen Notartermin übereifrig vorbereiten. Dazu kommt: Ein nicht in der Psychiatrie Erfahrener kann eine schwere Depression häufig nicht erkennen, bestätigt Prof. Dr. Tilman Wetterling, früherer Chefarzt an einer Berliner psychiatrischen Klinik. Das gilt natürlich auch für Notare.
Wenigstens den Pflichtteil retten
„Mit den möglichen psychischen Defiziten älterer Menschen wird vor allem eine Personengruppe belastet: Die im Testament übergangenen Erben“, sagt Rechtsanwalt Dr. Sven Gelbke. Er ist Geschäftsführer des Kölner Internetportals www.dieerbschützer.de. Hierhin können sich alle übergangenen Angehörigen wenden, die Hilfe bei der Geltendmachung des ihnen zustehenden Pflichtteils gegen Familienangehörige benötigen. Den Pflichtteil können die Nachkommen des Erblassers selbst dann verlangen, wenn eine Testamentsanfechtung wegen Demenz oder Depressionen nicht gelingt.
Furchtbare Familienbrüche vermeiden
Die Verletzungen der im Testament Benachteiligten blieben natürlich trotzdem, meint Gelbke: „Letztlich bräuchte es dringend klare und vor allem objektiv nachvollziehbare gesetzliche Bestimmungen, auf welcher Grundlage und in welchem Umfang die Testierfähigkeit ermittelt wird. So könnten sicherlich viele der unsäglichen Erbauseinandersetzungen und furchtbaren Familienbrüche vermieden werden, die meine Kollegen und ich in der täglichen Praxis beobachten müssen.“
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