Conference on the Future of Europe
Europa und die Migration - kontroverses Dauerthema
Hamburg (ots)
Seit der Migrationswelle 2015 und 2016 aus dem Bürgerkriegsland Syrien in die Länder der Europäischen Union hat wohl kein Problem die Institutionen der EU so lange und so oft beschäftigt. "Festung Europa" und Sicherung der Außengrenzen? Oder humanitäre Lösungen und Respekt vor den Menschenrechten?
Zunächst war es vor allem das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei 2016, das zu Kontroversen führte. Dann kam die dramatische Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln. Heute ist es die Situation an der Grenze zu Belarus, die Parlament und Kommission der EU sowie die Regierungen der Mitgliedsstaaten mit Sorge erfüllt. Außerdem ist da noch die Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan, deren Folgen noch gar nicht abzuschätzen sind.
In der Migrationspolitik setzt die EU-Kommission derzeit auf ein stärkeres Vorgehen gegen irreguläre Einwanderung. Gestritten wird vor allem und immer wieder darüber, ob und wie Schutzsuchende auf die EU-Länder verteilt werden. Das sogenannte Dublin-Verfahren legt fest, dass Schutzsuchende in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie zuerst registriert wurden. Die Durchsetzbarkeit dieses Verfahrens wird immer wieder bezweifelt. Kontrovers bleibt auch die Arbeit der Grenzschutzagentur Frontex, die wiederholt beschuldigt wurde, an der illegalen Zurückweisung von Migranten an den EU-Außengrenzen beteiligt gewesen zu sein.
Asyl- und Migrationspakt vom September 2020
Vor gut einem Jahr hat die Kommission Vorschläge für eine Reform der Asyl- und Migrationspolitik vorgelegt. Bestandteile des Paketes sind
- ein stabiles Außengrenzen-Management einschließlich Identitäts-, Gesundheits- und Sicherheitskontrollen;
- faire und effiziente Asylvorschriften, Rationalisierung der Asyl- und Rückführungsverfahren;
- ein neuer Solidaritätsmechanismus für Such- und Rettungseinsätze sowie für Druck- und Krisensituationen;
- eine wirksame Rückkehrpolitik und ein von der EU koordiniertes Konzept für Rückführungen wechselseitig vorteilhafte Partnerschaften mit wichtigen Herkunfts- und Transitdrittländern;
- Entwicklung nachhaltiger legaler Wege für Schutzbedürftige und die Anwerbung von Talenten für die EU sowie
- Unterstützung wirksamer Integrationsmaßnahmen.
Bewegt hat sich seitdem aber nur wenig. Dabei sollte der Asyl- und Migrationspakt ein Neuanfang sein. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen räumte kürzlich ein, man habe "nur quälend langsame Fortschritte erzielt". Nach wie vor ungeklärt ist, wie die irreguläre Migration und die organisierte Ausbeutung Schutzsuchender bekämpft werden sollen.
EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas hat es so formuliert: Mit den Kommissionsvorschlägen von 2020 habe man zwar alles Notwendige auf den Weg gebracht. Dennoch gebe es keinen Konsens. "Es ist, als hätte man einen Fallschirm zur Hand, aber beschließt, es allein auf gut Glück zu versuchen."
Das sind aktuell die wichtigsten Themen:
Bedrohung aus Belarus
Die Zahl versuchter Grenzübertritte aus Belarus in die EU-Staaten Polen, Litauen und Lettland ist in den vergangenen Wochen stark angestiegen. Die EU-Kommission und mehrere EU-Mitglieder sehen dahinter einen "hybriden Angriff" des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko. Das meint einen Angriff nicht mit Waffen, aber mit anderen Mitteln der Destabilisierung. Sie werfen Lukaschenko vor, als Reaktion auf die EU-Sanktionen gegen Belarus Flüchtlinge in organisierter Form an die EU-Grenze zu bringen.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson beschrieb das Vorgehen so: Migranten, die 10 000 Euro zahlen könnten, würden eingeladen und zunächst in Hotels untergebracht, ehe sie an die EU-Grenze transportiert würden. Wenn die EU-Staaten sie dann nicht ins Land ließen, versperre Belarus ihnen den Rückweg - und sie seien gefangen. Dies sei für Lukaschenko auch eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Polen, Litauen und Lettland haben ihren Grenzschutz bereits verstärkt. Im sumpfigen Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus kamen bereits einige Migranten ums Leben.
Angesichts der zunehmenden illegalen Migration über Belarus fordern einige Staaten wie Österreich und Litauen, auch auf den Bau von Zäunen an der EU-Außengrenze zu setzen. "Wir brauchen einen starken, robusten Außengrenzschutz", sagte Österreichs Bundeskanzler Alexander Schallenberg auf dem vergangenen EU-Gipfel Ende Oktober. Litauen, Lettland und Polen haben bereits mit dem Bau von Hunderten Kilometern Grenzzaun begonnen. Anfang Oktober hatten zwölf EU-Staaten wie Österreich, Polen, Ungarn und Dänemark in einem Brief an die EU-Kommission gefordert, auch "physische Barrieren" an den Außengrenzen aus EU-Mitteln zu bezahlen.
Der Migrationsforscher Gerald Knaus, der an der Ausarbeitung des EU-Abkommens mit der Türkei 2016 beteiligt war, spricht von der "größten moralischen und rechtliche Krise des europäischen Grenzmanagements". Das, was sich derzeit an der polnisch-belarussischen Grenze abspiele, könne sich zu einer echten humanitären Katastrophe entwickeln.
Hunderttausende wollen Afghanistan verlassen
Durch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und den Abzug der internationalen Truppen hat sich der Migrationsdruck auf Länder der EU bereits erhöht - und könnte noch weiter wachsen. Teile der afghanischen Bevölkerung müssen nach der Rückkehr der Islamisten an die Regierung in Kabul mit Unterdrückung, Tod und Verfolgung rechnen - zu diesem Ergebnis kommt ein aktueller Bericht des Auswärtigen Amts in Berlin.
Laut Schätzungen des UNHCR verlassen 20 000 bis 30 000 Menschen pro Woche Afghanistan über die Landesgrenzen. Einige von ihnen sind auch in Belarus gestrandet. Die meisten kommen immer noch über die östliche Mittelmeerroute nach Europa, zwischen 2015 und 2021 sind demnach rund 300 000 Afghanen in Griechenland angekommen.
Die befürchtete massive Fluchtbewegung Richtung Europa nach der Machtübernahme der Taliban ist der EU-Kommission zufolge zwar zunächst ausgeblieben. Dennoch sollten die EU-Staaten sich auf mögliche Migrationsbewegung und Sicherheitsrisiken vorbereiten.
Schleuser und Menschenschmuggler
Mehr als 90 Prozent der Migranten, die irregulär in die EU kommen, haben der EU-Polizeibehörde Europol zufolge Hilfe von Schleusern. Viele Menschen sterben auf dem Weg in die EU. In einem Aktionsplan führt die EU-Kommission auf, was bis 2025 gegen Menschenschmuggel geschehen soll: Unter anderem soll die Zusammenarbeit mit Drittstaaten ausgebaut und das Vorgehen gegen die Instrumentalisierung von Migranten durch staatliche Akteure verstärkt werden - siehe Belarus. Dies könne etwa die Visavergabe, Handelsfragen oder die Entwicklungshilfe betreffen.
Schwarzarbeit
"Einer der Pull-Faktoren für irreguläre Migration ist die Möglichkeit, einen Job auf dem Schwarzmarkt in der EU zu bekommen", sagte EU-Kommissarin Johansson. Besonders viele illegal Beschäftigte gebe es etwa auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder im Reinigungsgewerbe. Viele Arbeiter bekämen kein vernünftiges Gehalt und die Arbeitsbedingungen seien unangemessen. Verhindern soll all dies die EU-Richtlinie über "Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen".
Doch diese werden nicht einheitlich umgesetzt, beklagt Johansson. Die Strafen, die Firmen wegen illegaler Beschäftigung zahlen müssten, gingen weit auseinander. Auch müssten Betriebe häufiger kontrolliert werden. "Ich würde hier gerne mehr Vereinheitlichung sehen." Auf 29 Seiten legte die EU-Kommission nun dar, wie es besser laufen könnte: Unter anderem sollen sich die zuständigen Behörden der EU-Staaten mehr austauschen, Positivbeispiele geteilt und die Umsetzung der EU-Richtlinie genauer überwacht werden.
Die aktuelle Migrationslage
Von dem großen Zuzug während der Fluchtbewegung 2015 und 2016 ist die EU derzeit weit entfernt. Nach einem Einbruch der Zahlen 2020 während der Corona-Pandemie gibt es mittlerweile aber wieder mehr Ankünfte, wie es in einem neuen Lagebericht der EU-Kommission heißt. Den größten Zuwachs (81 Prozent) habe es über die zentrale
Mittelmeerroute Richtung Italien gegeben. Einen Anstieg verzeichneten auch die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln sowie Zypern.
In der EU wurden 2020 rund 460 000 Asylanträge gestellt. In Deutschland waren es zwischen Januar und September 2021 etwa 130 000, rund 50 Prozent mehr als im Jahr davor. "Alle Mitgliedsstaaten, unabhängig von ihrer geografischen Lage, können mit komplexen Herausforderungen der Migration konfrontiert werden", schreibt die EU-Kommission. Gründe dafür können gewaltsame Konflikte sein, der Klimawandel, demografische Entwicklungen oder einfach der fehlende Zugang zu lebensnotwendigen Gütern.
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