Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)
Nicht nur auf Feldern: Flächendeckende Pestizidbelastung am Oberrhein von der Ebene bis in Höhenlagen nachgewiesen
Landau, 12. März 2025
Nicht nur auf Feldern: Flächendeckende Pestizidbelastung am Oberrhein von der Ebene bis in Höhenlagen nachgewiesen
Eine aktuelle Studie der RPTU Kaiserslautern-Landau belegt eine weitreichende Pestizidbelastung der Landschaft im Oberrheingraben. Das Forschungsteam um Carsten Brühl zeigt erstmals, dass synthetisch-chemische Pestizide aus dem konventionellen Landbau nicht auf den Anbauflächen bleiben, sondern sich von der Tiefebene bis in den Schwarzwald und Pfälzerwald verbreiten. Die Ergebnisse belegen eine Kontamination mit Pestizidmischungen in der gesamten Landschaft und werfen ein neues Licht auf die potenziellen Umweltauswirkungen konventioneller Landwirtschaft. Um Gebiete um Äcker, Obstplantagen und Weinberge zu schützen, muss der Pestizideinsatz dringend reduziert werden, so die Forscher.
Das Untersuchungsgebiet der Studie, die im Fachmagazin Communications Earth & Environment erschienen ist, umfasst die Oberrheinische Tiefebene. Die Fläche, die sich auf etwa 300 Kilometern zwischen Bingen und Basel erstreckt, ist eine traditionsreiche Agrarlandschaft. Neben Getreide werden wegen der klimatischen Bedingungen auch Gemüse, Wein und Obst angebaut. Seit den 1970er Jahren werden in der konventionellen Landwirtschaft chemisch-synthetische Pestizide flächendeckend eingesetzt, um Schädlinge, Unkräuter und Pilzkrankheiten zu bekämpfen. Dabei kommt es häufig zur Kombination verschiedener Wirkstoffe und zur mehrfachen Ausbringung pro Jahr. Die großflächige Anwendung führt dazu, dass auch sogenannte Nicht-Zielflächen – also Bereiche, die nicht direkt besprüht werden, wie angrenzende Hecken, Feldsäume, Wiesen oder Trockenrasen – zunehmend unter einer chronischen Pestizidbelastung leiden.
Beprobung der Umwelt auf 180 Kilometern Länge
Das Forschungsteam führte während der Spritzsaison im Juni und Juli 2022 umfassende Probenahmen durch: Entlang von sechs 30 Kilometer langen Untersuchungstransekten – festgelegten Messpfaden, die von entlegenen Gebieten in den Mittelgebirgen Pfälzerwald und Schwarzwald bis in die Oberrheinische Tiefebene verliefen – wurden an 78 Standorten Oberboden, Vegetation, Fließgewässer und Pfützen beprobt. Den Verbleib von Pestiziden auf so großer Skala systematisch aufzunehmen und darzustellen ist ein neuer, am Institut für Umweltwissenschaften Landau entwickelter Ansatz. Mithilfe modernster Analysentechniken, die auch geringste Konzentrationen nachweisen können, erfolgte die Untersuchung auf 93 gängige Pestizide.
Belastung von der Tiefebene bis in Höhenlagen
Insgesamt 63 Pestizide hat das Forschungsteam nachgewiesen und nahezu alle Messstandorte waren belastet. In 97 Prozent der Boden- und Vegetationsproben wurden Rückstände gemessen, oft in komplexen Mischungen aus mehreren Wirkstoffen. Laut der Forscher ist es besonders bedenklich, dass selbst abgelegene Gebiete nicht frei von Pestiziden sind. Die Wirkstoffe wurden auch mehrere hundert Meter von landwirtschaftlichen Flächen entfernt nachgewiesen. Im Durchschnitt wurden im Oberboden fünf Pestizide gemessen, wobei einzelne Proben bis zu 26 verschiedene Wirkstoffe aufwiesen. Die Vegetation war im Mittel mit sechs Pestiziden belastet, in einigen Fällen sogar mit bis zu 21 Stoffen. „Unsere Ergebnisse sind eindeutig: Pestizide verbreiten sich weit über Felder hinaus. Das ist mehr als ein landwirtschaftliches Problem – es ist eine Realität, die uns alle betrifft. Pestizide können uns beim Spazierengehen, auf Spielplätzen oder im eigenen Garten begegnen“, erklärt Ken Mauser, Erstautor der Studie. Besonders gefährdet seien Personen mit direktem Pestizidkontakt, also die Landwirte selbst, sowie empfindliche Gruppen wie Kinder, Schwangere und ältere Menschen. Erst kürzlich wurde in Deutschland „Parkinson durch Pestizide“ als Berufskrankheit im Weinbau anerkannt. Eines der am häufigsten gefundene Pestizide war das Fungizid Fluopyram, das in über 90 Prozent aller Proben nachgewiesen wurde. Fluopyram wird als PFAS, eine sogenannte Ewigkeitschemikalie, eingestuft, deren Abbauprodukte auch das Grundwasser verunreinigen können. Eine landschaftsweite Verbreitung der Substanz erscheint auf Grund der noch nicht geklärten Auswirkungen auf die Trinkwasserressourcen äußerst bedenklich, so die Umweltwissenschaftler.
„Cocktail-Effekt"-Gefahr durch Pestizidmischungen
Neben der weiten Verbreitung einzelner Pestizide zeigt die Studie, dass in den untersuchten Proben häufig Pestizidmischungen vorkommen. Insgesamt wurden 140 verschiedene Kombinationen aus mindestens zwei Wirkstoffen gefunden. „Pestizidcocktails sind besonders problematisch, da Wechselwirkungen auftreten und sich Effekte verstärken können. Im aktuellen Zulassungsverfahren wird jedes Pestizid einzeln bewertet. Das greift zu kurz, um die komplexen Risiken einer realen Mischungsbelastung zu erfassen“, betont der Ökotoxikologe Carsten Brühl. „Kollegen aus Heidelberg konnten zeigen, dass Pestizid-Mischungen in ähnlichen Konzentrationen wie von uns im Freiland nachgewiesen, im Labor die Eiablage von Insekten um über 50 Prozent reduzieren. Man kann also annehmen, dass diese Mischungen durchaus Auswirkungen auf die Umwelt haben, vor allem wenn sie zudem chronisch, also das ganze Jahr über vorhanden sind, wie wir in einer anderen Untersuchung zeigen konnten“.
Landschaftsmodellierung - Pestizidausbreitung und Schutzgebiete
Ein zentraler Bestandteil der Studie war die Modellierung der Pestizidbelastung in der Landschaft. Mithilfe detaillierter geostatistischer Analysen erstellten die Forscher eine Vorhersage über die Verteilung der Pestizidrückstände im gesamten Untersuchungsgebiet. Diese Modellierung zeigt, dass die Belastung über die gespritzten Anbauflächen hinausreicht und selbst entlegene Gebiete nicht vor Pestizidkontamination geschützt sind. Besonders intensiv genutzte Weinbau-Regionen wie die Südpfalz und der Kaiserstuhl weisen demnach 10 bis 20 Pestizide in Boden und Vegetation auf. Die Bereiche außerhalb der Agrarfläche wie Blühstreifen, Hecken, angrenzendes Grünland aber auch ausgewiesene Naturschutzgebiete oder Nationalparks gelten als Rückzugsräume für geschützte Tier- und Pflanzenarten. Die Studie belegt jedoch, dass Schutzgebiete in der Agrarlandschaft kontaminiert sein können und selbst weit abgelegene Mittelgebirgsregionen im Nationalpark Schwarzwald oder im UNESCO-Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen belastet sind. So wurden im Nationalpark Schwarzwald insgesamt vier verschiedene Pestizide nachgewiesen, und auch auf dem Feldberg (1.494 Meter) wurden drei Stoffe festgestellt. In ihrer Modellierung haben die Forscher auch Berechnungen für das Naturschutzgebiet „Kleine Kalmit" bei Landau in der Pfalz angestellt. Mittels Vorhersagekarte wurden bis zu 15 verschiedene Pestizide in Boden und Vegetation prognostiziert – ein Befund, der durch Messungen in einer weiteren Studie bestätigt wurde. Die Pestizidbelastung gefährdet somit nicht nur geschützte Arten, sondern untergräbt auch die Bemühungen zum Schutz der Biodiversität. „Schutzgebiete in der Nähe konventioneller Landwirtschaft weisen eine erhöhte Pestizidbelastung auf. Nachhaltig und pestizidfrei bewirtschaftete Felder in den angrenzenden Bereichen könnten als Übergangszone dienen und dazu beitragen, die Pestizidbelastung von Naturschutzgebieten zu verringern“, erläutert Ken Mauser.
Pestizidreduktion dringend umsetzen
Die Studie belegt, dass Pestizide nicht nur auf landwirtschaftlichen Flächen verbleiben, sondern die gesamte Landschaft belasten. Insbesondere die „Cocktail-Belastung" und die Kontamination geschützter Gebiete sind besorgniserregend, so die Forscher. Angesichts ihrer Befunde fordern die Wissenschaftler eine strikte Reduktion des Pestizideinsatzes zum Schutz von Mensch und Umwelt sowie eine Überwachung der Pestizidbelastung von Landschaften. Dies steht auch im Einklang mit den Zielen der Biodiversitätskonferenz COP 15, die eine Halbierung des globalen Pestizideinsatzes bis 2030 anstrebt. „Unser Ansatz einer Landschaftsmodellierung der Pestizidbelastung kann dabei als Grundlage für künftige Evaluierungen der Reduktionsbemühungen dienen“, bemerkt Carsten Brühl.
Notwendig seien zudem großflächige Pilotprojekte, in denen pestizidfreie Kulturlandschaften im Maßstab von 10 x 10 Kilometer entstehen. Nur so lassen sich positive Effekte von nachhaltigen Anbausystemen auf die Biodiversität wirklich messen, so die Forscher. Derzeit hat eine pestizidfreie und auf kleinen Flächen etablierte Landwirtschaft in der durch Pestizide belasteten Umgebung keine Chance, ihr Potenzial auszuschöpfen. „Jetzt ist die Politik gefragt, großflächige und effektive, pestizidfreie Ansätze zu entwickeln, zu fördern und die Transformation hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft entschlossen voranzutreiben“.
Die Studie:
Ken M. Mauser, Jakob Wolfram, Jürg Spaak, Carolina Honert & Carsten A. Brühl 2025 Current-use pesticides in vegetation, topsoil and water reveal contaminated landscapes of the Upper Rhine Valley, Germany. Communications Earth & Environment. https://www.nature.com/articles/s43247-025-02118-2
Weitere in der Pressemitteilung erwähnte Studie:
Carolina Honert, Ken Mauser, Ursel Jäger, Carsten A. Brühl. 2025. Exposure of insects to current use pesticide residues in soil and vegetation along spatial and temporal distribution in agricultural sites. Scientific Reports. https://doi.org/10.1038/s41598-024-84811-4
Fachlicher Kontakt:
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
iES Landau, Institut für Umweltwissenschaften Landau
Prof. Dr. Carsten A. Brühl
+ 49 (0)6341 280-31310
Ken Mauser
+ 49 (0)6341 280-31855
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