Publizist Thomas Leif über die Dunkelziffer Armut: Die mediale Vernachlässigung der Vernachlässigten - KRESS-Essay
Hamburg (ots)
Wenn heute der Koalitionsausschuss in Berlin tagt, soll er nach dem Willen von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann vor allem eine Entscheidung treffen. Im Bundestagswahlkampf soll Rente kein Thema werden. Dabei wäre es an der Zeit, wenn Politik und Medien die Ärmsten nicht mehr ignorieren, wenn Redaktionen von Zeitungen, Fernsehsendern und Radiostationen die Armen und ihre Sorgen endlich ernst nehmen, schreibt Publizist Thomas Leif in seinem KRESS-Essay.
Auszug aus dem KRESS-Essay von Thomas Leif:
"Die Beschäftigung mit dem Themenfeld Armut ist stets auch ein Kampf um die Interpretationshoheit. Wird mit den Zahlen und Ziffern übertrieben, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Stimmung zu machen - oder wird verharmlost, um das tabuisierte "Skandalthema" einzuhegen und die beklagten Lebensverhältnisse aus der Welt der Armen in normales, unspektakuläres Fahrwasser zu navigieren?
Dieser dauernde Interpretationskampf spiegelt sich in der gesamten Medienberichterstattung. Denn die dokumentierte Armutsbilanz in Deutschland ist eine permanente Imageverletzung der Postulate der sozialen Marktwirtschaft. Gezielte Verharmlosung und perfide Ablenkung treffen heute - wie ein medialer Cocktail - auf alarmierende Statistiken und anonyme (Einzel)-Schicksale. Bezogen auf die Sachauseinandersetzung fehlt es Journalisten meist an der notwendigen Klärungsenergie: was stimmt, welche Positionen und Interpretationen der Daten sind korrekt oder welche Befunde sind interessengeleitet oder gezielt verwirrend?
Kurz: Das Thema Armut ist das Fahnenwort für die Grundfrage der Gerechtigkeit im deutschen Sozialstaat, für Oben und Unten, für die Frage der Legitimation einer (un)gerechten Politik, für die mangelnde Repräsentanz der sogenannten Unterschicht, für Ausbeutung im Niedriglohnsektor und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich.
In diesem Sinne ist Armut ein Magnetbegriff, der für die zunehmende gesellschaftliche Spaltung und oft kaschierte Chancen-Ungerechtigkeit steht."
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Zum KRESS-Essay-Autor: Thomas Leif ist Publizist; sein Film "Leif trifft arme Rentner - Kein Wohlstand mehr im Ruhestand?" wird am 12. Oktober im SWR, 20.15 Uhr bis 21.00 Uhr, gezeigt.
kress.de-Preview-Tipp: Das Feature von Thomas Leif wird am Montag, 10. Oktober, um 19 Uhr bei einer Preview mit anschließender Diskussion im Rathaus Wiesbaden am Schlossplatz 6 gezeigt. Nach der Begrüßung durch Sven Gerich, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden, wird der Film gezeigt. Danach diskutieren gemeinsam mit Thomas Leif der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der ehemalige Sozialrichter und Rentenexperte Jürgen Borchert, Hans-Jürgen Urban, Vorstand IG Metall und Kristina Vaillant, Buchautorin, "Die verratenen Mütter - Wie die Rentenpolitik Frauen in die Armut treibt".
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