DUH und BUND klagen gegen Bebauungsplan für Europas größtes Steinkohlekraftwerk in Brunsbüttel Gemeinsame Pressemitteilung
Berlin/Kiel/Brunsbüttel (ots)
Deutsche Umwelthilfe, BUND Schleswig-Holstein und Anwohner reichen Klageantrag gegen Bebauungsplan für Steinkohle-Doppelblock an der Elbe ein - Plan verstößt gegen europäische und nationale Umwelt- und Gesundheitsschutzvorgaben - Realisierung des Kohlekraftwerks energie- und klimapolitisch unverantwortlich und baurechtlich höchst zweifelhaft - Nach Niederlage vor Gericht drohen Schadensersatzansprüche der Kraftwerksbauer gegen Stadt Brunsbüttel und schleswig-holsteinische Genehmigungsbehörden
Die Deutsche Umwelthilfe e.V (DUH) und der Landesverband Schleswig-Holstein des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie ein Anwohner aus Brunsbüttel haben heute beim Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein den Antrag auf Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan Nr. 56 "Kohlekraftwerk an der Holstengrenze, zwischen SAVA und Kernkraftwerk" der Stadt Brunsbüttel eingereicht. Der Bebauungsplan soll die Grundlage für die Ansiedlung des geplanten Steinkohle-Doppelblockkraftwerks von SüdWestStrom auf dem Gelände nördlich des Elbehafens sein. Mit dem von dem Berliner Rechtsanwalt Peter Kremer formulierten Normenkontrollantrag wird die planungsrechtliche Grundlage für das 1.820 MW-Kraftwerk angegriffen. Kremer vertritt die Umweltverbände schon in dem seit Mai 2010 laufenden Normenkontrollverfahren gegen das benachbarte Kraftwerksprojekt von GDF SUEZ.
Der aktuelle Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan für das von einer Tochter der kommunalen Beteiligungsgesellschaft SüdWestStrom (SWS) geplante Kraftwerk stützt sich auf ein ganzes Bündel von Fehlern und Mängeln in dem von der Stadt Brunsbüttel kurz vor Weihnachten beschlossenen Bebauungsplan.
"Die Stadt Brunsbüttel und die Genehmigungsbehörden in Schleswig-Holstein laufen sehenden Auges in ein Datteln II", sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), Rainer Baake, unter Hinweis auf das 2009 gerichtlich gestoppte Kohlegroßkraftwerk in Nordrhein-Westfalen. "Wer heute noch Kohlegroßkraftwerke plant, die Atmosphäre und Umwelt nach ihrer Inbetriebnahme über ein halbes Jahrhundert mit Millionen Tonnen Kohlendioxid und anderen Schadstoffen belasten, muss wissen, dass er überall auf erbitterten Widerstand von Anwohnern und Klimaschützern stoßen wird".
Der Landesgeschäftsführer des BUND Schleswig-Holstein, Hans-Jörg Lüth, erinnerte daran, dass sich der französische Energiekonzern GDF SUEZ kurz vor Weihnachten 2010 von eigenen Plänen für ein Kohlekraftwerk neben dem SWS-Standort wegen exakt der gleichen rechtlichen Unsicherheiten zurückgezogen habe, die nun auch das SWS-Kraftwerk bedrohten. Bisher wolle die SWS-Betreibergesellschaft - je zur Hälfte eine Tochter des Schweizer Energieversorgers Repower AG und deutscher Stadtwerke - ein deutlich höheres Risiko eingehen. Insgesamt sei das Kraftwerksprojekt aus Naturschutzgründen, aber auch energie- und klimapolitisch unverantwortlich, erklärte Lüth: "Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie geht ungenutzt in die Elbe und belastet dort das Ökosystem. Stattdessen könnten zehntausende Haushalte in der Region mit der anfallenden Wärme versorgt werden". Wer heute noch Kohlekraftwerke baue, behindere und verzögere über Jahrzehnte die letztlich unausweichliche Energiewende hin zu einer 100%igen Versorgung mit Erneuerbaren Energien.
Die Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe/Brunsbüttel, die sich seit Jahren vor Ort gegen die Kraftwerksplanung engagiert, begrüßte den Klageantrag ausdrücklich. "Der von der SWS zur Schau gestellte Optimismus ist für die Bürgerinitiative nicht nachvollziehbar. Schon vor der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke gab es massive Zweifel an der wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Monsterkraftwerks. Inzwischen laufen dem Stadtwerkekonsortium reihenweise die Gesellschafter davon. Die verbliebenen Stadtwerke sollten froh sein, wenn die Kraftwerksgegner sie vor einem finanziellen Desaster bewahren," erklärte BI-Sprecher Stephan Klose.
Im Einzelnen stützt sich der am heutigen Mittwoch eingereichte Normenkontrollantrag auf folgende Sachverhalte:
- Nach Überzeugung der Kläger würden mit der Inbetriebnahme des Großkraftwerks die zulässigen Feinstaub-Grenzwerte überschritten. Bei Feinstaub handelt es sich nach Auffassung von Gesundheitsforschern um das derzeit schwerwiegendste Luftreinhalteproblem in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass hierzulande insgesamt jährlich 75.000 Menschen vorzeitig an der Feinstaubbelastung sterben. Betroffen sind insbesondere Kinder und ältere Menschen. - Die Stadt Brunsbüttel hat es versäumt, Konsequenzen aus dem "Datteln-Urteil" zu ziehen. In der Entscheidung des OVG Münster vom September 2009 zu dem E.ON-Kraftwerk, mit dem der entsprechende Bebauungsplan in Nordrhein-Westfalen aufgehoben wurde, wird unter anderem auf das unzulässige Nebeneinander des Kraftwerksneubaus und naher Wohnbebauung abgestellt. Nach Ansicht der Kläger wird auch in Brunsbüttel der Mindestabstand von 1.500 Metern nicht eingehalten. - Vor allem aber werden bei dem SWS-Kraftwerksprojekt in Brunsbüttel europarechtlich geschützte Tier- und Pflanzenarten in Schutzgebieten unzulässig beeinträchtigt. Der Betrieb des Kraftwerks bedrohe seltene und vom Aussterben bedrohte Fischarten, aber auch Speisefische wie Aal und Stint, die die Existenz der verbliebenen Elbfischer sichern.
Naturschutzrechtlich besonders relevant sind nach Überzeugung der Kläger die Auswirkungen auf eine seltene Fischart, den Schnäpel (Coregonus oxyrhynchus). DUH und BUND haben gemeinsam mit den Elbfischern nachgewiesen, dass sich dieser Fisch in der Elbe wieder angesiedelt hat, nachdem er lange Zeit in Deutschland als ausgestorben galt. Die Landesbehörden haben mittlerweile eingestanden, dass sie das Gegenteil nicht beweisen können. Der Schnäpel ist in die höchste europarechtliche Schutzkategorie (prioritäre Art nach der FFH-Richtlinie) eingestuft. Schon eine mögliche Beeinträchtigung des Schnäpels steht demnach der Genehmigungsfähigkeit des Kraftwerks und damit auch des Bebauungsplans entgegen. Darüber hinaus habe die Stadt Brunsbüttel versäumt, die EU-Kommission vorab zu beteiligen. Dies wäre schon wegen der gefährdeten Fischart rechtlich zwingend gewesen.
Zudem gibt eine aktuelle EU-Richtlinie für Fische, Muscheln und andere Tiere Quecksilber-Grenzwerte vor, die in der Elbe schon heute um ein Vielfaches überschritten werden. Die Verbände haben mit einem ausführlichen Rechtsgutachten nachgewiesen, dass diese Grenzwerte einzuhalten sind und jedenfalls kein zusätzliches Quecksilber in die Elbe eingetragen werden darf. Jeglicher zusätzliche Schwermetalleintrag in die Elbe verstoße deshalb gegen europäisches Recht.
Außerdem gehen die Kläger davon aus, dass die mit dem Kraftwerksbetrieb unvermeidlichen erhöhten Stickstoffbelastungen in benachbarten FFH-Gebieten empfindliche Pflanzen zerstören würden. Auch diese Pflanzengesellschaften stehen unter dem Schutz des EU-Naturschutzrechts, ebenso wie seltene Zugvögel und Fledermäuse, die mit dem Bau des Kraftwerks massiv beeinträchtigt würden. Die zahlreichen in dem Normenkontrollantrag formulierten Beeinträchtigungen von Flora und Fauna machten den Kraftwerksbau von vornherein rechtlich unzulässig.
DUH und BUND rechnen mit einer Verfahrensdauer von etwa einem Jahr. Sollte das Oberverwaltungsgericht in Schleswig der Argumentation der Kläger folgen, würde die planungsrechtliche Grundlage für das beantragte Kohlekraftwerk entfallen. Falls für das Kohlekraftwerk dennoch vor der Entscheidung über den Normenkontrollantrag erste Genehmigungen erteilt würden, müssten diese nachträglich aufgehoben werden. Deshalb gingen die Stadt Brunsbüttel und die zuständigen Genehmigungsbehörden in Schleswig-Holstein ein erhebliches Haftungsrisiko ein, wenn auf der Grundlage letztlich rechtswidriger Beschlüsse und Genehmigungen mit dem Kraftwerksbau begonnen werde. Bereits im Vorfeld des Beschlusses über den Bebauungsplan hatten die Kraftwerksgegner die Stadt in einem Rechtsgutachten auf dieses Risiko hingewiesen. Sie hielt bisher trotzdem an der Planung fest.
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