Bundesregierung blockiert Verbändebeteiligung bei Klimaschutzgesetz: Deutsche Umwelthilfe reicht Beschwerde bei Aarhus-Komitee ein
Berlin (ots)
- Rechtlich vorgeschriebene Beteiligung der Zivilgesellschaft wird durch die Bundesregierung massiv behindert
- Extrem kurze Fristen zur Stellungnahme machen qualifizierte Verbändebeteiligung an zentralen Gesetzesvorhaben für den Klimaschutz fast unmöglich
- DUH sorgt mit Beschwerde bei Aarhus-Komitee für ein Novum: Erste Beschwerde aus Deutschland wegen der Verletzung von Beteiligungsrechten
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat beim Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC) Beschwerde gegen die Bundesregierung wegen der Verletzung von Beteiligungsrechten eingereicht. Mit extrem knappen Fristen für Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen und -änderungen behindern die Bundesministerien eine qualifizierte Beteiligung der Zivilgesellschaft massiv. Nach Auffassung der DUH stellt dies einen völkerrechtlichen Bruch mit Artikel 8 der Aarhus-Konvention dar.
Das jüngste Beispiel ist die geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes: Der Entwurf zur Gesetzesänderung wurde am Donnerstag, den 15. Juni 2023, um 17.28 Uhr vom zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zugestellt mit einer Frist bis Montag, den 19. Juni 2023, um 10.00 Uhr. Damit blieben der DUH sowie vielen weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen nur etwas mehr als ein Werktag zur Durchsicht und Bewertung des 28 Seiten starken Dokuments, welches das zentrale Instrument auf dem Weg zur völkerrechtlich verbindlichen Klimaneutralität darstellt.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: "Die kurze Frist zur Kommentierung des Entwurfs entspricht in keiner Weise der zentralen Bedeutung dieses Gesetzes für den Klimaschutz. Die Ampel-Regierung verstößt aktuell gegen elementare Bestandteile des geltenden Klimaschutzgesetzes aus der letzten Merkel-Regierung. Trotz massiver Überschreitungen der vorgegebenen Jahreshöchstmengen an Treibhausgasen - insbesondere im Verkehrssektor - fehlen die erforderlichen und rechtlich vorgeschriebenen Sofortprogramme, um dieser für den Klimaschutz fatalen Fehlentwicklung entgegenzusteuern. Ich bin fassungslos, wie ausgerechnet ein Grüner Klimaschutzminister die Novellierung dieses Gesetzes ohne wirkliche gesellschaftliche Debatte durchpeitschen will. Da dieses Vorgehen der seit 25 Jahren auch für Deutschland bindenden Aarhus-Konvention widerspricht, haben wir erstmals eine formelle Beschwerde eingereicht."
Stellt das Aarhus-Komitee einen Verstoß gegen die völkerrechtliche Konvention fest, wird die Bundesregierung verpflichtet, derart kurze Fristen ohne Dringlichkeit der Angelegenheit abzustellen. Kommt ein Vertragsstaat dem nicht nach, kann er seine Abstimmungsrechte verlieren. Bisher ist dies nur einmal vorgekommen, nachdem Belarus eine Umweltorganisation gänzlich verboten hatte.
Die Absicht zur Änderung des Klimaschutzgesetzes wurde bereits 2021 im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten und wird im Parlament ohnehin erst nach der Sommerpause behandelt. Die DUH sieht daher keinen Anlass zu einer derart verkürzten Beteiligungsfrist. In der Beschwerde werden weitere Beispiele für extrem kurze Fristen zur Stellungnahme genannt. So wurden die Unterlagen zur Revision des Straßenverkehrsgesetzes am 15. Juni 2023 um 13.00 Uhr verschickt mit Frist bis zum Folgetag um 15.00 Uhr. Auch hier ließ sich eine besondere Dringlichkeit des Anliegens nicht erkennen und auch hier wird die Bedeutung des Gesetzes für die aus Klimaschutzgründen erforderliche Verkehrswende missachtet.
Hintergrund:
Die umweltvölkerrechtliche Aarhus-Konvention von 1998 gibt der Zivilgesellschaft in Europa elementare Rechte in Umweltangelegenheiten. Ob diese Rechte von den Regierungen eingehalten werden, überwacht seit 2004 ein unabhängiger Ausschuss, das ACCC. Verbände wie die DUH, aber auch Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, vor diesem Komitee Beschwerden vorzutragen. Kern der Aarhus-Konvention ist die Beteiligung der Zivilgesellschaft an zentralen Regierungsentscheidungen. Diese wird mit zunehmender Komplexität der Herausforderungen und Lösungsansätze immer wichtiger, um im Ergebnis zu qualifizierten Entscheidungen zu kommen.
Link:
Die vollständige Beschwerde hier zu finden: https://l.duh.de/p230712
Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer DUH
0171 3649170, resch@duh.de
Prof. Dr. Remo Klinger, Geulen & Klinger Rechtsanwälte
0171 2435458, klinger@geulen.com
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