Deutsche Umwelthilfe gewinnt bisher umfangreichstes Gerichtsverfahren zu Millionen Betrugsdiesel-Pkw von VW, Audi und Seat
Berlin (ots)
- Verwaltungsgericht Schleswig bestätigt unzulässige Abschalteinrichtungen in 62 unterschiedlichen Diesel-Modellvarianten mit EA-189 Motor, die bis heute zur Vergiftung der Atemluft in unseren Städten führen
- DUH fordert nach diesem bereits zweiten gewonnenen Verfahren Bundesverkehrsminister Wissing auf, das Urteil endlich zu respektieren und die Kumpanei mit den betrügerischen Dieselkonzernen zu beenden
- DUH-BGF Resch: "Der Gesundheitsschutz von Millionen den Dieselabgasgiften ausgesetzten Menschen in unseren Städten muss endlich durch die Stilllegung der Betrugs-Diesel oder deren Hardware-Nachrüstung auf Kosten des betrügerischen VW-Konzerns erfolgen"
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat ein Paukenschlag-Urteil für die Saubere Luft in Deutschland errungen: Millionen Diesel-Pkw von Volkswagen, Seat und Audi müssen stillgelegt oder auf Kosten der Hersteller mit einer neuen Abgasreinigung ausgestattet werden. Betroffen sind 62 Modellvarianten der Hersteller mit dem Motor EA-189 der Abgasstufe Euro 5. Sie verstoßen laut heutigem Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Schleswig gegen Recht und Gesetz und enthalten auch mehr als acht Jahre nach Aufdeckung des Dieselskandals nach wie vor aktive illegale Abschalteinrichtungen.
Das Gericht hat der Klage des Umwelt- und Verbraucherschutzverbands gegen die Bundesrepublik Deutschland und den beigeladenen Volkswagen-Konzern vollumfänglich stattgegeben: Die Abgasreinigung bei Diesel-Fahrzeugen muss zwischen minus 15 Grad Celsius bis plus 40 Grad funktionieren, so die Richter. Abschalteinrichtungen, die unter 10 Grad Außentemperatur, nach 15 Minuten Leerlauf oder oberhalb von 1.000 Metern Höhe die Reinigung der Abgase runterfahren oder ganz abschalten, sind unzulässig. Dass das KBA dies über Jahre geduldet hat, war rechtswidrig. Das Gericht hob die Freigabebescheide der Behörde für alle betroffenen Diesel-Fahrzeuge des VW-Konzerns mit dem EA189-Motor auf. Gleichzeitig hat das Gericht das KBA dazu verpflichtet, gegen den VW-Konzern tätig zu werden, damit die Abschalteinrichtungen entfernt werden. Die DUH fordert nun die sofortige Anordnung einer Hardware-Nachrüstung oder eine Stilllegung der Autos mit Entschädigung der Kunden auf Kosten der Autobauer.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: "Das Urteil ist eine klare Niederlage für Bundesverkehrsminister Wissing und das ihm unterstellte Kraftfahrt-Bundesamt. Durch die Abschaltung einer ordnungsgemäßen Abgasreinigung in Millionen Diesel-Fahrzeugen werden Millionen Menschen in unseren Städten unnötigerweise hohen, extrem gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxid-Konzentrationen ausgesetzt. Das haben der Europäische Gerichtshof und das zuständige Gericht in Schleswig nun sogar schon zum zweiten Mal bestätigt und uns Recht gegeben. Ich fordere Bundesverkehrsminister Wissing auf, seine Kumpanei mit den betrügerischen Dieselkonzernen zu beenden, die Bevölkerung nicht durch weitere Berufungs- und Revisionsverfahren immer länger zu vergiften, sondern das Urteil endlich zu respektieren und umzusetzen. Das Kraftfahrt-Bundesamt muss diese Fahrzeuge stilllegen oder per amtlichem Rückruf eine Nachrüstung mit wirksamer Abgasreinigungstechnik anordnen."
Insgesamt geht die DUH von rund 8,6 Millionen Diesel-Fahrzeugen deutscher, europäischer und internationaler Diesel-Hersteller aus, die mit ähnlich unzulässigen Abschalteinrichtungen in Deutschland noch in Betrieb sind. Dadurch stoßen die Pkw bis heute bis zu 40 Mal so viel Stickoxide aus wie erlaubt - extrem gesundheitsschädliche Abgasgifte, die allein in Deutschland für zehntausend vorzeitige Todesfälle jedes Jahr verantwortlich sind. In den kommenden Monaten wird das VG Schleswig sich mit weiteren Klagen der DUH gegen die Bundesregierung zu Betrugsdiesel-Fahrzeugen von Mercedes-Benz, Porsche, BMW, Fiat und 15 weiteren Herstellern beschäftigen.
Rechtsanwalt Remo Klinger: "Wenn das KBA zukünftig als neutrale Behörde ernst genommen werden will, muss es endlich einschreiten und aufhören, insbesondere Volkswagen nach dem Mund zu reden. Die höchstrichterliche Klärung zu diesen Fragen liegt durch mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs längst vor."
Hintergrund:
Nach Aufdeckung des Abgasskandals 2015 durch Abgasmessungen der DUH war das KBA gezwungen, eigene Überprüfungen anzustellen. Doch anstatt gegenüber den Autoherstellern anzuordnen, dass die illegalen Abschalteinrichtungen zu entfernen sind, wurde in zahlreichen Bescheiden die von den betrügerischen Autoherstellern verwendeten Abschalteinrichtungen (die nach der Außentemperatur, der Höhenlage und der Länge des Leerlaufs in Betrieb gesetzt wurden) für zulässig erklärt, die Bescheide selbst aber geheim gehalten. Nach Auffassung der DUH hätten die Fahrzeuge stillgelegt oder durch eine Hardware-Nachrüstung ertüchtigt werden müssen, um damit die Grenzwerte für die Stickoxidemissionen einzuhalten. Nach diesen Freigabebescheiden des KBA durften die Fahrzeuge weiter auf den Straßen unterwegs sein. Die DUH hat mit ihren Messungen aufgedeckt, dass auch nach den Software-Updates die Luft fast unverändert weiter mit hohen Mengen Stickoxiden verpestet wurde. Daraufhin hat die DUH am 16. April 2018 ein Musterverfahren gegen das KBA eingeleitet. Es zielt auf die Aufhebung eines 2016 erteilten Freigabebescheids für den VW Golf Plus TDI (2,0 Liter) mit dem Motor EA 189 EU5.
Im November 2019 hatte das Verwaltungsgericht Schleswig das Verfahren ausgesetzt, um zunächst zwei Fragen durch den Europäischen Gerichtshof entscheiden zu lassen. Zum einen ging es dabei um die Klagebefugnis der DUH, weil das deutsche Umweltrechtsbehelfsgesetz dies für den Fall der Pkw-Typgenehmigung ausschließt. Zum anderen sollte geklärt werden, unter welchen Umständen Abschalteinrichtungen als legal einzustufen sind. Im November 2022 hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, dass die DUH berechtigt ist, gegen das KBA zu klagen. Außerdem stellten die Richter klar, dass die Abgasreinigung in der überwiegenden Zeit ihrer Nutzung auch bei niedrigen Außentemperaturen funktionieren muss. Daraufhin hat die DUH im Februar 2023 das Musterverfahren gegen das KBA gewonnen. Ihm folgte das Verfahren heute im Streit um 62 weitere Modellvarianten.
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Prof. Dr. Remo Klinger, Geulen & Klinger Rechtsanwälte
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