Der Tagesspiegel: Lebenshilfe warnt vor Ächtung der Behinderten in der Gesellschaft Vorsitzender Antretter lobt Unionsvorstoß zu Spätabtreibungen
Berlin (ots)
Berlin - Im Streit um eine gesetzliche Neuregelung der Spätabtreibung wirft die Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte den Skeptikerinnen in der SPD eine Schönfärberei der Realität vor. "Leider haben wir eine Wirklichkeit, der diese Beschwichtigungen nicht gerecht werden", sagte der Bundesvorsitzende und langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Robert Antretter dem Berliner "Tagesspiegel" (Mittwochssausgabe). Am Dienstag nachmittag beriet die SPD-Fraktion das Thema Spätabtreibungen. Zuvor hatten Justizministerin Brigitte Zypries und die Familien- und Gesundheitsexpertinnen der Fraktion betont, Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation und der Rechtsanspruch auf Beratung seien "gut und umfassend geregelt".
Die Unionsvorschläge, die eine Beratungspflicht und eine Drei-Tages-Frist zwischen Beratung und Abtreibung vorsehen, hingegen seien "ein guter erster Schritt", sagte Antretter. Denn mit dem Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetz von 1995, das eigentlich Abtreibungen allein wegen einer zu erwartenden Behinderung ausschließen sollte, habe man die Situation nur verschlimmert. Seither sind Abtreibungen aus diesem Grund zwar verboten. Straffrei und ohne Beratungspflicht sind sie jedoch, und dies theoretisch bis zum Entbindungstermin, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Darunter fällt auch die Einschätzung, dass die Mutter die Geburt eines behinderten Kindes seelisch nicht verkraftet.
Die Zahl der Fälle, in denen es bei Spätabtreibungen um behinderte Kinder ging, werde nicht dokumentiert, sagte Antretter. Es seien aber "ganz sicher viel zu viele". So sei davon ausgehen, dass bereits 95 Prozent der Ungeborenen, denen ein Down-Syndrom diagnostiziert wurde, abgetrieben werden. Dabei handle es sich, wie er aus vielen Familien wisse, "hier wahrlich um keine Behinderung, die das Lebensglück zerstört". Aber manche Frauen wüssten eben nicht, wie lebenswert auch das Leben mit behinderten Kindern sei. Dies gelte es bei Beratungen zu vermitteln.
Je mehr man ungeborenes Leben wegen einer Behinderung als lebensunwert brandmarke und zu Disposition stelle, umso gefährdeter seien auch Menschen, die mit einer, oft erst im Laufe des Lebens zugezogenen, Behinderung leben müssten, warnte Antretter. "Je mehr man sich dem Bild des perfekten Menschen nähert, desto mehr wird der Unperfekte in der Gesellschaft geächtet."
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