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Pressestimmen: „Ich halte die Vorwürfe für unberechtigt“ Der Wissenschaftler Perthes glaubt nicht, dass Syrien Chemiewaffen besitzt und Saddam Husseins Schergen schützt

Berlin (ots)

Der Berliner Politologe Volker Perthes (44) hält
die Vorwürfe der USA gegen Syrien, das Land verfüge über
Massenvernichtungswaffen und verstecke Funktionäre des irakischen
Regimes, für "im Kern unberechtigt". Der Leiter der Forschungsgruppe
Naher/Mittlerer Osten der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte dem
Tagesspiegel: "Syrien ist gegen die US-Präsenz am Golf, wollte aber
bestimmt selbst nicht in die Schusslinie amerikanischer Politik
geraten." Perthes rechnet jedoch nicht damit, dass für Syrien eine
direkte militärische Bedrohung durch die USA besteht. Washington
werde aber den diplomatischen Druck erhöhen und womöglich auch
wirtschaftliche Sanktionen verhängen, damit Syrien der libanesischen
Hisbollah und der palästinensischen Hamas weniger Unterstützung
gewährt. Trotzdem erwartet Perthes, dass Syrien versuchen werde, "mit
Washington in der einen oder anderen Form zu kooperieren". Denn
Damaskus wisse, "dass es die von Israel besetzten Golan-Höhen nicht
ohne diplomatischen Druck der USA zurück bekommt", sagte er dem
Tagesspiegel in einem Interview.
Der vollständige Text des Tagesspiegel-Interviews mit Volker
Perthes:
Sie sind gerade in Damaskus. Wie nehmen die Syrer die Drohungen
der USA auf?
Durchaus mit Sorge. Man hat gesehen, was sich im Irak abgespielt
hat und fragt sich, ob man nicht der Nächste auf der Liste ist.
Wie ernst nehmen Sie persönlich die Äußerungen der US-Regierung?
Ich glaube nicht, dass es für Syrien eine unmittelbare
militärische Bedrohung gibt. Aber vermutlich werden die USA
diplomatischen Druck ausüben und eventuell auch zu wirtschaftlichen
Strafen greifen. Dabei geht es der amerikanischen Regierung darum,
Syrien auf jeden Fall davon abzuhalten, die Ordnung, die sie selber
im Irak aufzubauen versuchen, zu unterminieren. Und natürlich wollen
die Amerikaner, dass Syrien in der Frage des Friedensprozesses in
Nahost mehr kooperiert und der libanesischen Hisbollah und der
pälastinensischen Hamas-Bewegung weniger Unterstützung gewährt.
Wird die Regierung in Damaskus kooperieren, weil sie, nachdem die
USA die Pipeline geschlossen haben, jetzt nicht mehr von den
illegalen Öllieferungen aus dem Irak profitiert?
Es ist zwar nicht so, dass sich die syrische Wirtschaft mit den
irakischen Öllieferungen über Wasser gehalten hat. Aber sicher waren
die irregulären Einfuhren wichtig, um sich Einnahmen zu verschaffen,
ohne viel dafür zu tun. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen,
dass sich die syrische Regierung ihre politische Opposition gegen
einen amerikanisch kontrollierten Irak für ein paar 100000 Barrel Öl
am Tag abkaufen lassen wird. Es gehört zur politischen Tradition
Syriens, wenn man ein ernsthaftes politisches Anliegen hat, dafür im
Notfall auch ökonomische Konsequenzen in Kauf zu nehmen.
Noch im Herbst hat Syrien die UN-Resolution 1441 gegen den Irak
unterzeichnet. Jetzt stellt sich Damaskus offen auf die Seite des
Nachbarlandes. Warum?
Die Position der Regierung ist in diesem Punkt sehr klar, und die
Öffentlichkeit teilt diese Auffassung: Man hat sich hinter die
Resolution gestellt, weil man darin eine Möglichkeit sah, den Krieg
zu verhindern. Syrien hat dann deutlicher als Frankreich, Russland
oder Deutschland gesagt, wir sind nicht nur politisch gegen den
Krieg, sondern wir wollen auch nicht, dass die amerikanische
Invasionsarmee den Krieg zu schnell und ohne großen Widerstand
gewinnt.
Warum?
Weil Syrien nie davon ausgegangen ist, dass die USA gekommen
seien, um den Irak zu befreien, sondern dass die Bush-Regierung ein
imperialistisches Projekt hat, also Hegemonie am Golf plant und
Kontrolle über das irakische Öl anstrebt. Und zweitens, weil die
Regierung in Damaskus eine geopolitische Einkreisung Syriens
befürchtete. Die USA behaupten, Syrien verfüge über Chemie-Waffen und
biete Mitgliedern des irakischen Regimes Unterschlupf.
Ich halte die Vorwürfe im Kern für unberechtigt. Syrien ist gegen
die US-Präsenz am Golf, wollte aber bestimmt selbst nie in die
Schusslinie amerikanischer Politik geraten. Die Regierung von
Präsident Assad ist trotz aller populistischen Äußerungen schlau und
weiß, dass sie sich direkt amerikanischem Zorn aussetzt, wenn sie
verbotene irakische Waffen versteckt oder Mitglieder des Saddam-
Regimes ins Land lässt.
Wie geht es weiter?
Vieles hängt davon ab, ob und wie schnell es den Amerikanern
gelingt, die Situation im Irak zu stabilisieren. Damaskus wird
sicherlich versuchen, mit Washington in der einen oder anderen Form
zu kooperieren. Zumal Syrien genau das in anderen Fragen auch von den
USA erwartet. Das betrifft vor allem den arabisch-israelischen
Friedensprozess. Syrien ist sich sehr wohl klar darüber, dass es die
von Israel besetzten Golan-Höhen nicht ohne diplomatischen Druck der
USA zurück bekommt.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Telefon 030-26009-204
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon:030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
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