Der Tagesspiegel: zu Festnahme von Saddam Hussein
Berlin (ots)
Der Terror im Irak geht weiter, die Anschlagsgefahr in den USA und Europa nimmt aber nicht noch stärker zu - so bewerten deu-sche Experten wie Berndt Georg Thamm und Kai Hirschmann die Lage nach der Festnahme Saddam Husseins. "Er war der Kopf des Regimes, aber nicht der alleinige Kopf oder große Feldmarschall des irakischen Widerstands", sagt Thamm. "Über Saddam ist die Geschichte hinweggerollt", meint Hirschmann, stellvertretender Direktor des Instituts für Terroris-musforschung und Sicherheitspolitik (Iftus). Im Gegensatz zu Osama bin Laden, der eine religiöse Ideologie anbiete, "konnte sich Saddam Loyalität nur noch kaufen". Thamm erwartet allerdings, dass in den nächsten Wochen Saddam-treue Kämpfer wie zum Beispiel die Fedayin-Miliz mit "Märtyrerein-sätzen" auf die Festnahme reagieren. Terroristische Racheaktionen in den USA und Europa hält er indes für wenig wahrscheinlich. Schon der Beginn des Krieges und dann der Sturz des Regimes im Frühjahr seien hinreichend Anlass für Attentate außerhalb des Irak gewesen. Diese seien aber ausgeblieben. Thamm glaubt deshalb nicht, dass sich die Situation für Amerika und Europa jetzt ändert. Den Widerstand im Irak schätzt Thamm auf mehrere tausend Kämpfer. Zwei Drittel seien "Inländer jeder Couleur", also Fedayin, Baathisten (Angehörige der ehemaligen Einheits-partei), Ex-Militärs und andere. Möglicherweise könnten sie sogar mehr Unterstützung aus der Bevölkerung bekommen, wenn Saddam vor Gericht gestellt werde. "Ein Prozess wird wahrscheinlich als Demütigung durch die Ungläubigen erlebt", sagt Thamm. Auch wenn dann die Greuel des Saddam-Regimes nochmal deutlich zur Sprache kämen, wäre der Effekt eher gering: "Das wird aufgerechnet mit den vielen Opfern der amerikanischen Militärschläge im Irak". Das restliche Drittel der irakischen Wider-standsszene seien die ausländischen Gotteskrieger: Mitglieder von mit Al Qaida verbündeten Organisationen wie Ansar al Islam sowie "non aligned Mujahedin". Dies sind militante Islamisten, die mit dem Al-Qaida-Spektrum in Kontakt stehen, aber weitgehend auf eigene Faust agieren. "Es interessiert die ausländischen Kräfte überhaupt nicht, was mit Saddam geschieht", sagt Thamm. Die islamistischen Terrori ten seien auch weder finanziell noch militärisch von ihm abhängig gewesen und würden auf jeden Fall den Terror fortsetzen - gegen die Amerikaner, ihre Verbündeten und alle westlichen, auch zivilen Ziele im Irak überhaupt. Nach Ansicht von Hirschmann sind für die schweren Autobomben- und Selbstmordanschläge im Irak fast ausschließlich Attentäter aus dem Umfeld der Al Qaida verantwortlich. Als Drahtzieher vermutet Hirschmann den aus Jordanien stammenden Palästinenser Abu Mussab al Zarkawi. Gegen ihn wird auch in Deutschland ermittelt. Generalbundesanwalt Kay Nehm hält Zarkawi für den "Rädelsführer" der im April 2002 ausgehobenen Al-Tawhid-Terrorzelle, die unrter anderem einen Anschlag auf das Jüdische Museum in Berlin geplant hatte. Ungeachtet der Festnahme Saddams schreite die "Afghanisierung" des Irakkonflikts voran, sagen Thamm und Hirschmann unisono. Damit meinen sie einen Partisanenkrieg, wie ihn die Rote Armee zur Zeit der sowjetischen Besetzung Afghanistans erleben musste. Als wesentliches Indiz nennen beide Experten die Angriffe auf Militärcamps der Amerikaner und die Attacken mit tragbaren Boden- Luft-Raketen auf US-Hubschrauber. Außerdem würden zunehmend die von den Amerikanern installierten irakischen Sicherheitskräfte das Ziel von Anschlägen - wie einst die Kollaborateure der Roten Armee in Afghanistan.
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