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Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel: Berliner Verfassungsschutz warnt vor Steckbrief-Kampagne der Neonazis

Berlin (ots)

Die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes,
Claudia Schmid, warnt vor der zu-nehmenden Aggressivität der Neonazi
Kameradschaften. Die Gewalt gegen Polizis-ten nehme zu, außerdem
hätten die Neonazis ihre "Anti Antifa Kampagne" profes-sionalisiert,
sagte Schmid im Interview des Tagesspiegels. Es werde versucht,
poli-tische Gegner auszuspionieren und eine Drohkulisse aufzubauen.
Die Kampagne richte sich nicht nur gegen radikale Linke, sondern auch
gegen Politiker, Journalis-ten und Polizisten. "Im Internet werden
steckbriefartig Daten von Gegnern veröffent-licht", sagte Schmid. Mit
Sorge beobachte der Berliner Verfassungsschutz auch die Verbindungen
zwischen Neonazis und Rockerclubs wie den Hells Angels, die mit der
Organisierten Kriminalität in Verbindung stünden. und über Geld und
Waffen verfügten. Neonazis würden von Rockerclubs für Jobs im
Rotlichtmilieu rekrutiert, sagte Schmid.
Das Interview folgt im Wortlaut.
Die Wahlerfolge von NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg haben
bei Rechtsextremisten Eu-phorie ausgelöst. Sind NPD, DVU und
vielleicht auch die Republikaner in Berlin im Aufwind? Der
NPD–Landesverband ist in Berlin bei weitem nicht so stark wie der in
Sachsen. Die Parteiarbeit wird vor allem von der NPD Bundeszentrale
in Köpenick dominiert. Aber selbst dort haben wir im groß
angekündigten Schulungszentrum noch keine gr ößeren Aktivitäten
feststellen können. Der Zustand von DVU und Republikanern in Berlin
ist desolat. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die rechtsextremen
Parteien hier nach den Wahlen ihre Mitgliederzahlen steigern konnten.
NPD und DVU wollen bei der Bundestagswahl 2006 in einer
Kombination antreten. Bewegen sich die beiden Parteien auch in Berlin
aufeinander zu? Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch in Berlin
sondiert wird. Aber ich halte es für möglich, dass sich die zwei
Parteien vor 2006 wieder zerstritten haben. NPD und DVU erheben beide
einen Füh- rungsanspruch. Kandidieren kann laut Wahlrecht immer nur
eine Partei. Deshalb dürfte sich die Hochstimmung verflüchtigen, wenn
es bei den Gesprächen darum geht, wer auf der Wahlliste den Vortritt
hat.
NPD Chef Udo Voigt hat kürzlich Hitler als großen deutschen
Staatsmann bezeichnet. Warum setzt die Partei nach dem biederen und
erfolgreichen Wahlkampf in Sachsen wieder auf ein Nazi Image? Während
des Verbotsverfahrens hatte sich die NPD aus taktischen Gründen von
den Neonazis dis-tanziert. Seit dem Scheitern des Verfahrens will die
Parteiführung die Neonazis wieder einbinden. Das passte zum Wahlkampf
in Sachsen, denn dort herrschen besondere Verhältnisse. In Sachsen
wird die NPD schon lange von einer starken Szene unterstützt. Die
Partei hat dann mit einer gemä-ßigten Themenwahl auch bürgerliche
Schichten angesprochen. Nach der Wahl wollte Voigt mit dem Interview
deutlich machen, dass NPD und Neonazis auch bundesweit politisch
zusammenpassen.
Die Nähe zu den Neonazis stößt in Teilen der Parteibasis auf
Kritik. Deshalb bin ich gespannt darauf, was sich Ende Oktober beim
NPD Bundesparteitag abspielt. Da sollen zumindest zwei der drei
Neonazi Anführer, die kürzlich in die Partei eingetreten sind, in den
Bundesvorstand gewählt werden. Teile der NPD Basis stehen den
Neonazis skeptisch gegenüber. Die Linie von Parteichef Udo Voigt ist
daher nicht unumstritten. Offenbar umwirbt er jetzt Neonazis, weil er
auf ihre Hilfe beim Parteitag hofft.
In Berlin ist der ehemalige Sänger der Rockband Landser, Michael
Regener, der NPD beigetreten. Versucht Regener nun, seine Fans für
die Partei zu begeistern? Im Unterschied zu dem groß inszenierten
Parteieintritt der anderen drei Neonazis gibt es bislang keine NPD
Werbung mit Regener. Aber sein Eintritt passt zu der Strategie,
bekannte Neonazis als Brückenbauer zur Szene zu nutzen. Die NPD
propagiert im Moment eine Art Volksfront von Partei und freien
Kräften.
Wie reagieren die Berliner Neonazi Kameradschaften auf das Werben
der NPD? Eine Bewegung rein in die NPD gibt es bei den
Kameradschaften nicht. Selbst der Eintritt Regeners, der Anführer der
„Vandalen“ ist, hat keine große Resonanz gefunden. Die
Kameradschaften tun sich nur punktuell mit der NPD zusammen, wie beim
Aufmarsch am 1. Mai. Größere Sorgen bereiten mir andere Aktivitäten.
Die Kameradschaften haben vor allem ihre Anti Antifa Kampagne
professionali-siert. Da wird versucht, politische Gegner
auszuspionieren und eine Drohkulisse aufzubauen. Das geht gegen
radikale Linke, gegen Politiker, aber auch Journalisten und
Polizisten sind betroffen. Im Internet werden steckbriefartig Daten
von Gegnern veröffentlicht. Außerdem nimmt die Gewalt gegen
Polizisten zu, wie bei den Angriffen auf die Beamten am 1. Mai zu
beobachten war.
Besonders unbeliebt ist der Chef der Polizeidirektion 6, Michael
Knape, der viele Einsätze gegen die Szene geleitet hat . . . Herr
Knape ist für die Kameradschaften eine zentrale Hassfigur. Er und die
Polizeispezialeinheit PMS haben wesentlich dazu beigetragen, die
rechte Szene zu verunsichern. In Berlin werden seit Jahren
rechtsextreme Konzerte mit unserer Hilfe verhindert oder aufgelöst.
Wie viele Kameradschaften agieren derzeit in Berlin? Besonders
aktiv sind fünf, mit etwa 60 Mitgliedern. Dazu zählen die „Berliner
Alternative Sü d Ost“ und die „Kameradschaft Tor“. Die Brandenburger
Kameradschaft „Märkischer Heimatschutz“ hat jetzt eine Berliner
Sektion gegründet. Sie ist aber offenbar klein, das ist mehr ein Name
als eine Gruppe.
Neonazis versuchen, Bürgernähe zu demonstrieren. In Prenzlauer
Berg hat sich eine Kameradschaft am Protest gegen das Abholzen von
Bäumen beteiligt. Die Kameradschaften wollen auch Themen aufgreifen,
die mit klassisch rechtsextremer Propaganda nicht viel zu tun haben.
Wie beim Irak Krieg und bei Hartz IV. Jetzt sind es mal Bäume oder
Jugend-themen. Mit geringem Erfolg. Für die Mainstream Jugendlichen
sind die Kameradschaften nicht att-raktiv. Außerdem fehlen
interessante Führungsfiguren.
Bewegen sich Neonazis auch weiter auf Rocker und Hooligans zu?
Hier bestehen seit langem Verbindungen. Während Hooligans und
Neonazis meist zusammen sau-fen, nutzen Neonazis Clubhäuser von
Rockergruppen für Treffen und Konzerte. Rockerclubs wie die Hells
Angels stehen mit der organisierten Kriminalität in Verbindung und
verfügen über Geld und Waffen. Neonazis werden für Jobs im
Rotlichtmilieu rekrutiert. Die Kooperation von Rockern und Neonazis
bereitet uns weiter Sorge.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Telefon 030/26009-389
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