Der Tagesspiegel: Gegen eine EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine
Österreichs Außenministerin Plassnik will stattdessen das "Potential" der europäischen Nachbarschaftspolitik "bewusst ausschöpfen".
Berlin (ots)
Berlin. Trotz des positiven Votums des Europäischen Parlaments ist Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik gegen eine konkrete EU- Beitrittsperspektive für die Ukraine. In einem gemeinsamen Gespräch mit dem Tagesspiegel und dem Handelsblatt forderte sie stattdessen, das "Potential" der europäischen Nachbarschaftspolitik "bewusst auszuschöpfen". Die EU biete der Ukraine bereits jetzt "viele konkrete Perspektiven", um deren Umsetzung es jetzt gehen solle. In dem Zusammenhang nannte Plassnik unter anderem "eine maßgeschneiderte Freihandelszone und den erleichterten Zugang zum europäischen Markt". Dass auf diese Weise der Ukraine eine langfristige Beitrittsperspektive verwehrt bleibt, mit der Türkei jedoch Beitrittsgespräche aufgenommen werden, will die Ministerin aber nicht als Widerspruch sehen. "Wir sollten jetzt nicht ein Land gegen das andere ausspielen", sagte sie. Generell forderte Plassnik, statt neue Aufnahmegespräche zu planen, in Zukunft mehr mit dem "Instrument der Nachbarschaftspolitik" auf die "jeweiligen Bedürfnisse eines Landes" einzugehen. Dies sei "wichtiger als die Alles-oder-Nichts-Perspektiven". Deshalb habe Österreich, wenn auch vergeblich, "dafür plädiert, diesen Ansatz auch im Umgang mit der Türkei zu wählen".
Das Interview im Wortlaut:
F: Das EU-Parlament will für die Ukraine eine konkrete Beitrittsperspektive. Sind Sie auch dafür?
A: Die ukrainische Präsidentschaftswahl und ihr Verlauf waren ein sehr deutliches Signal für die Verbundenheit mit den europäischen Werten. Jetzt kommt es darauf an, in der Zusammenarbeit konkret zu werden. Mit der europäischen Nachbarschaftspolitik haben wir dazu neue Möglichkeiten. Dieses Potential sollten wir bewusst ausschöpfen, etwa im wirtschaftlichen Bereich, für eine maßgeschneiderte Freihandelszone und den erleichterten Zugang zum europäischen Markt. Andererseits geht es um die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit und die Reform der Institutionen in der Ukraine.
F: Wäre eine Beitrittsperspektive nicht ein Anreiz für die Reformpolitiker?
A: Die Europäische Union bietet bereits viele konkrete Perspektiven, um deren Umsetzung sollte es jetzt gehen.
F: Ist es kein Widerspruch, dass die EU einem europäischen Land wie der Ukraine eine langfristige Beitrittsaussicht verwehrt, zugleich aber Verhandlungen mit der Türkei beginnt?
A: Diesen Widerspruch sehe ich nicht. Wir sollten jetzt nicht ein Land gegen das andere ausspielen. Die europäische Orientierung der Ukraine können wir auch mit der Nachbarschaftspolitik sichern.
F: Sollte nach dem absehbaren Beitritt Rumäniens, Bulgariens und Kroatiens also Schluss sein mit der Erweiterung?
A: Wir sollten mit dem Instrument der Nachbarschaftspolitik auf die jeweiligen Bedürfnisse eines Landes eingehen. Eine differenzierte Sicht und die Praxistauglichkeit der Werkzeuge sind dabei wichtige Elemente. Ich glaube, sie sind wichtiger als die "Alles oder Nichts"- Perspektiven. Deshalb hat Österreich ja auch dafür plädiert, diesen Ansatz auch im Umgang mit der Türkei zu wählen.
F: Anfang 2006 übernimmt Österreich die EU-Ratspräsidentschaft. Was werden die Schwerpunkte sein?
A: Ein Schwerpunkt ist sicher der Erweiterungsprozess. Mit Kroatien beginnen die Verhandlungen im Frühjahr 2005, mit der Türkei im Oktober. Die Gespräche mit Bulgarien und Rumänien sind abgeschlossen. Schwerpunkt wird auch die EU-Verfassung sein, weil das Ratifikationsverfahren Anfang 2006 noch laufen wird. In Österreich erwarte ich dazu im Frühjahr eine Zustimmung mit sehr breiter Mehrheit.
F: Haben Sie keine Sorge, dass die EU gerade unter ihrer Präsidentschaft in eine große Krise gerät, wenn bis dahin in einigen Ländern die Ratifizierung der Verfassung gescheitert sein sollte?
A: Ich möchte keine Hypothesen für den Fall aufstellen, was wäre wenn. Ich bin überzeugt, dass die neue europäische Verfassung für die Bürger eine Reihe bemerkenswerter Verbesserungen enthält. Und deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass es den Regierungen gelingen wird, diese Botschaft ihren Bevölkerungen deutlich zu machen und der Ratifizierungsprozess erfolgreich sein wird.
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