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Der Tagesspiegel: Fraktionschef Schulz: Kosten der Einheit bei Reform des Stabilitätspaktes berücksichtigen

Berlin (ots)

Berlin. Vor dem Sondertreffen der EU-Finanzminister
zum Stabilitätspakt hat sich der Vorsitzende der Sozialdemokratischen
Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, für eine Lockerung des
Paktes eingesetzt. Mit Blick auf die deutschen Verstöße gegen den
Stabilitätspakt sagte Schulz dem "Tagesspiegel" (Samstagausgabe), es
sei "absolut gerechtfertigt", dass die Kosten der deutschen Einheit
bei der Defizitberechnung berücksichtigt würden. "Es gibt eben nur
ein Land in Europa, das den Einheitsprozess in dieser Form zu
verkraften hatte", sagte er weiter.
Zugleich warnte Schulz die EU-Kommission davor, sich im Zuge einer
Reform des Stabilitätspaktes verstärkt in nationale Belange
einzumischen. "Der deutsche Bundestag und kein anderes Parlament wird
akzeptieren, dass durch Weisungen der Kommission auf dem
Verordnungswege das Haushaltsrecht der souveränen Parlamente
eingeschränkt wird", sagte der SPD-Politiker. Die Kommission könne
nicht für sich beanspruchen, "eine Exekutive zu werden, die sich in
noch mehr Feldern als bisher außerhalb der parlamentarischen
Kontrolle befindet", so Schulz.
WORTLAUT:
Frage: Herr Schulz, am Sonntag kommen die EU-Finanzminister in
Brüssel zusammen, um den Stabilitätspakt zu reformieren. Ist der Pakt
damit nicht tot?
Schulz: Nein, das glaube ich auf keinen Fall. Der Stabilitätspakt
ist reformierbar und wird hoffentlich reformiert.
Frage: Wie könnte die Reform aussehen?
Schulz: Viele Punkte sind noch offen. Dazu gehört die Frage, in
welchen Fällen Mitgliedstaaten die Defizitgrenze des Paktes
überschreiten können. Das ist alles Spekulation. Deshalb kann ich nur
meine ganz persönliche Meinung dazu sagen: Wenn einzelne Staaten die
Defizitgrenze überschreiten, dann muss das von der EU-Kommission
genehmigt werden. Gleichzeitig muss sich auch die Kommission dabei an
bestimmte Kriterien halten und darf nicht nach Gutdünken vorgehen. Es
muss verbindliche Regeln geben. Diese Regeln sollten so ausgestaltet
werden, dass alle Maßnahmen im Rahmen des Lissabon- Prozesses bei der
Defizitberechnung berücksichtigt werden. Dazu gehören Investitionen
in eine Infrastruktur, die man braucht, um eine weltweit
wettbewerbsfähige Wirtschaft zu entwickeln, die auf Wissen aufbaut.
Frage: Und was ist mit den Nettobeiträgen an die EU und den
Folgekosten der Wiedervereinigung, die die Bundesregierung als
mildernden Umstand bei der Defizitberechnung berücksichtigt sehen
möchte?
Schulz: Der amtierende EU-Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker hat
richtigerweise davon gesprochen, dass die Volkswirtschaften in der EU
unterschiedlich sind und dass man die einzelnen Länder spezifisch
betrachten muss. Es gibt eben nur ein Land in Europa, das den
Einheitsprozess in dieser Form zu verkraften hatte. Deshalb halte ich
es für absolut gerechtfertigt, dass die Einheitskosten anerkannt
werden. Man muss dann aber auch zugestehen, dass es andere Länder
gibt, die andere Schwierigkeiten haben. Ein Beispiel: In Italien gibt
es noch immer ein dramatisches Nord-Süd-Gefälle, das den
italienischen Staat zu erheblichen Transferleistungen im Inneren
zwingt. Das muss man dann mit der gleichen Fairness behandeln.
Frage: Soll die EU-Kommission die Euro-Länder künftig zwingen
können, in wirtschaftlich guten Zeiten mehr zu sparen, um Defizite in
schlechten Zeiten gegenfinanzieren zu können?
Schulz: Was den präventiven Teil des Stabilitätspaktes anbelangt,
so wird man entscheidend darauf achten müssen, dass die Budgethoheit
der nationalen Parlamente nicht reduziert wird. Der deutsche
Bundestag und kein anderes Parlament wird akzeptieren, dass durch
Weisungen der Kommission auf dem Verordnungswege das Haushaltsrecht
der souveränen Parlamente eingeschränkt wird. Übrigens ist die
Haushaltskonsolidierung in guten Zeiten heute schon ein Element des
Stabilitätspaktes. Das muss nicht neu eingeführt werden.
Frage: Steht das Europaparlament in dieser Frage eher auf der
Seite der Kommission oder auf der Seite der Mitgliedstaaten?
Schulz: Meine Fraktion vertritt die Haltung, dass eine
Haushaltskonsolidierung um ihrer selbst willen nicht sinnvoll ist.
Der Pakt heißt Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wenn kreditfinanzierte
staatliche Investitionen am Ende zu mehr Wachstum führen, dann kann
man erst dann die erzielten Erlöse zur Konsolidierung einsetzen. Das
ist eigentlich eine ganz alte Regel. Es ist völlig klar, dass das
Europaparlament im institutionellen Gefüge auf der Seite der
Kommission steht. Wir sind die Integrations- Institution. Eines muss
ich aber auch sagen: Die Kommission kann nicht für sich beanspruchen,
eine Exekutive zu werden, die sich in noch mehr Feldern als bisher
außerhalb der parlamentarischen Kontrolle befindet.
Inhaltliche Fragen richten Sie bitte an: Der Tagesspiegel, Ressort
Politik, Albrecht Meier, Tel.: 030-26009228
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

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Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
Email: thomas.wurster@tagesspiegel.de

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