Der Tagesspiegel: Böhmer sieht Wahlkampf der Union kritisch: Wir sind den Menschen etwas schuldig geblieben
Aber gegen Personaldebatte um Merkel
Skeptisch zu Schwarz-Gelb-Grün
Berlin (ots)
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), hat sich im Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel" (Dienstag-Ausgabe) zum Wahlkampf seiner Partei und möglichen Koalitionen geäußert. Der Wortlaut ist zu Ihrer Verwendung ab sofort unter Nennung der Quelle frei.
T: Was wird die Woche bringen?
B: Gespräche, viele Gespräche.
T: Nach dem schlechten Wahlergebnis der Union auch über Frau Merkel?
B: Nein, sondern mit Frau Merkel. Sie hat den Auftrag an die stärkste Fraktion auszufüllen, nämlich nach einer Regierungsmehrheit zu suchen. Das ist ihre Aufgabe. Und ich kann nur allen abraten, jetzt als Besserwisser mit Personaldebatten zu beginnen. Klar ist, dass wir unser Wahlziel nicht erreicht haben. Aber das darf nicht zu öffentlichen Schaukämpfen führen. Die Partei hat 600000 Mitglieder, da kann nicht Frau Merkel allein alles falsch gemacht haben.
T: Was hat die Union im Ganzen falsch gemacht?
B: Wir sind den Menschen etwas schuldig geblieben - nämlich sie davon zu überzeugen, dass die Reformen, die wir vorschlagen, zwingend notwendig sind. Wir haben nicht klar machen können, dass diese Reformen greifen werden, um damit den Menschen Mut zu machen. Aber es ist immer schwierig, eine Mehrheit für ein Reformprogramm zu bekommen, das den Einzelnen auch fordert. Und klar ist: Die Ankündigung einer Mehrwertsteuererhöhung hat uns nicht nur Freunde gebracht.
T: Hat Kirchhof und die Debatte, die er ausgelöst hat, der Union die Sache verdorben?
B: Paul Kirchhof ist von der gegnerischen Seite in unzulässiger Weise instrumentalisiert worden. Das Problem war aber auch, dass nicht mehr über das Steuerprogramm der CDU geredet worden ist, sondern über das Modell, das Kirchhof vor Jahren in einem Buch vorgeschlagen hat.
T: Hätte die Kanzlerkandidatin hier nicht mehr Deutlichkeit zeigen müssen?
B: Ob man das allein an Frau Merkel festmachen kann, bleibt abzuwarten. Wir hätten hier alle deutlicher seiun müssen.
T: Welche Koalition würden Sie vorziehen?
B: Ich habe heute keine Präferenz. Wir müssen sehen, was die Sondierungen ergeben.
T: Der Kanzler hat gesagt, dass eine große Koalition mit Merkel als Kanzlerin mit der SPD nicht zu machen sei, sondern nur mit ihm.
B: Da bin ich doch sehr erstaunt. Wenn die ganze SPD so argumentieren sollte, dann dürften die Gespräche in der Tat sehr schwierig werden. Ich weiß nicht, woher der noch amtierende Kanzler die Sicherheit nimmt, das so hinzubekommen. Die Form und die Endgültigkeit seiner Aussagen sind durch Tatsachen nicht gerechtfertigt, sondern sie sind völlig überzogen.
T: Also eher Schwarz-Gelb-Grün?
B: Da muss ich ehrlicherweise sagen, dass es mir jedenfalls im Moment etwas schwer fällt, daran glauben zu können. Aber wir müssen auch hier sehen, was Gespräche bringen. Wie auch immer: Grundsätzlich gilt, dass das Beharren auf Standpunkten nicht weiterführt, dass Unnachgiebigkeit nichts bringt. Die Bürger haben ein Recht darauf, eine stabile Regierung zu bekommen. Wenn es nicht gelingt, wäre das ein Versagen der Demokratie und schädlich für Deutschland.
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