Der Tagesspiegel: Gesundheitsministerin gegen Pflichtuntersuchungen für Kinder
Berlin (ots)
Berlin - Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat sich gegen eine Vorsorgepflicht für Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung gewandt. Damit sei das Problem der Vernachlässigung nicht zu lösen, sagte sie dem Berliner "Tagesspiegel" (Samstagsausgabe). Wer eine Pflicht fordere, müsse auch sagen, was er tun wolle, wenn sie nicht eingehalten wird. "Soll die Polizei dann Kinder zu den Untersuchungen holen?" Überwachungen von Pflichtuntersuchungen durch Krankenkassen, die dazu gar nicht in der Lage seien, seien ungeeignet, um Vernachlässigung, Verwahrlosung oder gar Verbrechen an Kindern vorzubeugen.
Statt Eltern und Kinder zum Arzt zu zwingen, müssten vor allem Jugendhilfe und öffentlicher Gesundheitsdienst gestärkt werden, forderte Schmidt. Leider sei in den vergangenen Jahren das Gegenteil geschehen: Aufgrund der finanziellen Situation seien die kommunalen Gesundheitsdienste abgebaut worden. "Dabei waren das immer diejenigen, die Schulen und Kindergärten aufgesucht und auf Gesundheit und Wohlbefinden von Kindern geachtet haben." Auch auf das Präventionsgesetz setze sie in diesem Zusammenhang Hoffnung, sagte die Politikerin. "Ein Ziel ist ja, dass Gesundheitsexperten auch in schwierige Stadtviertel gehen, um Menschen zu erreichen, die von sich aus Gesundheitsangebote nicht nutzen."
Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, regte an, Kindergeldzahlungen von der regelmäßigen Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen abhängig zu machen. Jedes Kind habe das Recht auf Vorsorgeuntersuchungen, sagte er dem Tagesspiegel. "Wenn Eltern nicht willens oder in der Lage sind, die Rechte ihrer Kinder zu wahren, muss man überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, das ihnen zustehende Kindergeld anderweitig einzusetzen."
Auch Schmidt betonte den Rechtsanspruch jedes Kindes s auf alle Vorsorgeuntersuchungen, "das bezahlt die Krankenkasse ohne jede Diskussion". Allerdings müssten die Bewilligungen von Mutter-Kind-Kuren oder Vater-Kind-Kuren wieder verbessert werden. Schmidt kritisierte Krankenkassen, die solche Kuren immer seltener bewilligten. "Die sparen hier an der der falschen Stelle", sagte sie.
Außerdem forderte die Ministerin mehr Aufmerksamkeit und Zivilcourage. "Wie kann passieren, dass Kinder in Wohnungen eingesperrt oder sogar totgeprügelt werden, und kein Nachbar merkt etwas?" Für alle, die Auffälligkeiten bemerkten, müsse es in den Kommunen Anlaufstellen geben, sagte Schmidt, "das hat nichts mit Denunziation zu tun. Gute Nachbarn sind achtsam!"
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