Der Tagesspiegel: Heftige Kritik am Verfassungsreferendum in Serbien
Präsident Tadic bezeichnet Einflussnahme auf das Kosovo als "legitimes Recht"
Berlin (ots)
Berlin - An dem serbischen Verfassungsreferendum, das an diesem Sonntag endet, gibt es heftige Kritik. Blerim Shala, der Leiter der kosovarischen Delegation bei den Statusverhandlungen in Wien, sagte dem Berliner "Tagesspiegel am Sonntag": "Dieses Referendum ist ein Schritt, den derzeit keine von beiden Seiten unternehmen sollte: ein unilaterales Vorpreschen." Auch im Umfeld des UN-Chefunterhändlers Martti Ahtisaari empfindet man das Referendum als Provokation. Der Grund: eine Präambel des Verfassungstextes definiert die südliche Teilrepublik als "unabdingbaren Teil" Serbiens - obwohl die Entscheidung über den Status des Kosovo keineswegs bei Serbien, sondern bei den UN liegt. Serbiens Präsident Boris Tadic verteidigte hingegen das Referendum als notwendigen Schritt zur Ablösung von der Milosevic-Ära und hält auch die kritisierte Kosovo-Präambel für völkerrechtlich legitimiert: Die Provinz gehöre "nicht nur laut unserer derzeitigen Verfassung zu Serbien, sondern auch laut der Verfassung unter Tito, der Verfassung vor dem Zweiten Weltkrieg und im Jahrhundert davor", sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". Darüber hinaus habe Serbien "ein legitimes Recht darauf, Einfluss auf das Leben der serbischen Minderheit im Kosovo zu nehmen." Im Kosovo selbst wird sich nur die serbische Minderheit am Votum beteiligen, die dort knapp zehn Prozent der Bevölkerung stellt. Zwei Millionen Kosovo-Albaner tauchen gar nicht erst in den Wählerlisten auf. Auf die Frage, inwiefern dies die Legitimität der neuen Verfassung in Zweifel ziehe, sagte Tadic: "Selbstverständlich beinhaltet das ein Legitimitätsproblem. Aber die Kosovo-Albaner beteiligen sich leider seit den 90er Jahren nicht mehr am politischen Prozess." Wird die Verfassung angenommen, sollen noch in diesem Jahr Parlament und Präsident in Serbien neu gewählt werden. Bis Ende des Jahres will der UN-Sicherheitsrat auch über den künftigen Status des Kosovo entscheiden, erwartet wird ein Votum für die Unabhängigkeit.Die zeitliche Nähe beider Ereignisse legt nahe, dass die Verfassungspräambel der serbischen Führung in erster Linie als innenpolitisches Argument dient, um der eigenen Bevölkerung zu vermitteln, man habe alles unternommen, um das Kosovo zu halten - und dann trotz gegenteiligen UN-Votums wiedergewählt zu werden. So antwortete Tadic auf die Frage, warum er sich ausgerechnet jetzt im Amt bestätigen lassen will: "Ich muss meine Legitimität erneuern. Denn Sie unterhalten sich mit einem Mann, der für den Verlust eines Landesteils verantwortlich gemacht werden kann, für den Verlust eines Teils der Identität seines Volkes."
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