"das ARD radiofeature": Viele ältere Menschen nehmen ungeeignete Medikamente im Übermaß
Experte: "Anschlag auf die Gesundheit"
Köln (ots)
Zu viele und falsch dosierte Medikamente stellen insbesondere für ältere Menschen ein bisher kaum beachtetes Risiko dar. "das ARD radiofeature" beleuchtet in seiner neuen Folge, wie millionenfach verabreichte Präparate täglich Gesundheit und Leben von Senioren bedrohen: Wegen unerwünschter Wirkungen von Arzneimitteln werden demnach jährlich 300.000 Deutsche in Krankenhäusern behandelt, darunter überdurchschnittlich viele ältere Patienten. 16.000 bis 24.000 Menschen sterben durch die unkoordinierte Behandlung mit Arzneimitteln. Die Hälfte bis zwei Drittel dieser Todesfälle wären vermeidbar. Zu hören ist das einstündige Feature "Riskante Rezepte" der NDR-Autorin Martina Keller ab 20. April in diversen Wort- und Kulturradios der Landesrundfunkanstalten.
Viele für Kinder verschriebene Präparate wurden eigens für die jüngsten Patienten untersucht und zugelassen. Für Senioren gilt das nicht. Dabei sind etliche millionenfach verabreichte Medikamente für die Behandlung älterer Patienten potentiell ungeeignet. "Wir machen hier einen großen Feldversuch", sagt der Hausarzt Wolfgang Dörr. Oft bekommen betagte Patienten neun, zwölf oder noch mehr Medikamente verordnet. Der Bremer Arzneimittelexperte Gerd Glaeske nennt diese Praxis einen "Anschlag auf die Gesundheit". In Pflege- und Altersheimen bekommt laut der Pharmakologin Petra Thürmann von der Helios Klinik in Wuppertal jeder dritte Bewohner ein Neuroleptikum gegen Verhaltensstörungen verabreicht - teils mit verheerenden Folgen. "Demenzpatienten sterben mehr und häufiger, wenn sie über mehrere Monate mit Neuroleptika behandelt werden", warnt Glaeske. Das Sterberisiko für Demenzpatienten steige bei der langfristigen Behandlung mit Neuroleptika auf das 1,6-Fache.
Erste Ansätze zur Problemlösung gibt es: Ein Team um Thürmann hat mit Förderung des Bundesforschungsministeriums die so genannte Priscus-Liste zusammengestellt. Darauf sind 83 Medikamente, die für Ältere potenziell gefährlich sind. In Hessen erprobt eine Gruppe von Hausärzten ein Arzneimittelinformationssystem, das bedenkliche Dosierungen und Wirkstoffkombinationen anzeigt. Zu Wort kommt auch die erste Fachapothekerin für geriatrische Pharmazie in Deutschland. Sie berichtet vom sorglosen Umgang in Altersheimen mit den "Mittelchen" aus den Labors der umtriebigen und geschäftstüchtigen Pharmaindustrie.
Die Autorin Martina Keller (*1960, Bochum) arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in Hamburg. Ihr Interesse gilt vor allem Themen an der Schnittstelle von Medizin und Gesellschaft. Sie recherchierte Hintergründe des Organhandels und schrieb über die Unterwanderung von Selbsthilfegruppen durch die Pharmaindustrie. Mehrere ihrer Arbeiten wurden mit Journalistenpreisen ausgezeichnet, zuletzt "Der Fall des Chirurgen Broelsch" (WDR/NDR/DLF 2010) mit dem Featurepreis 2010 der Stiftung Radio Basel und dem Goethe Medienpreis.
das ARD radiofeature 2011
Im Januar 2010 startete das ARD radiofeature. Die Sendereihe legt den Fokus auf investigativ-journalistische Produktionen. Jedes Feature wird in den Kultur- und Wortprogrammen der sieben beteiligten ARD-Sender gesendet. Alle Produktionen stehen nach Ausstrahlung für zwölf Monate unter www.radiofeature.ard.de zum Download zur Verfügung. Insgesamt neun einstündige Features sind 2011 in der Sendereihe zu hören. Damit knüpfen die Wort- und Kulturwellen BR 2, HR 2-Kultur, SR 2 KulturRadio, SWR 2, NDR Info, Nordwestradio und WDR 5 an den erfolgreichen Auftakt dieser Reihe im Vorjahr an.
Produktion NDR 2011
Redaktion Ulrike Toma
Sendetermine: 20. bis 24. April 2011 SWR 2 20. April , 22.05 Uhr SR 2 KulturRadio u. AntenneSaar 23. April, 09.05 Uhr Bayern 2 23. April, 13.05 Uhr Nordwestradio 24. April, 09.05 Uhr | 27. April, 19.05 Uhr NDR Info 24. April, 11.05 Uhr WDR 5 24. April, 11.05 Uhr | 25. April, 00.05 Uhr hr2-kultur 24. April, 18.05 Uhr
Das Feature steht nach der Ausstrahlung unter www.radiofeature.ard.de zum Download zur Verfügung.
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