Börsen-Zeitung: Richterliche Ermahnung, Kommentar von Christof Roche zur Entscheidung des EuGH, das VW-Gesetz zu kippen
Frankfurt (ots)
Das Volkswagen-Gesetz hat ausgedient. Fast ein halbes Jahrhundert war Europas größter Autobauer vor feindlichen Übernahmen geschützt. Jetzt haben die Europa-Richter die Wolfsburger Trutzburg niedergerissen. Für das Land Niedersachsen gilt seit gestern, wie für jeden anderen Investor, das Prinzip "eine Aktie, eine Stimme".
Zwar hält Niedersachsen mit 20% nach wie vor eine stramme Beteiligung an VW, mit der sich Großaktionär Porsche, der seit längerem auf die unternehmerische Führung in Wolfsburg schielt, wird arrangieren müssen. Die Entscheidung jedoch, ob Niedersachsen weiterhin Standortsicherung bei VW betreibt oder aber Kasse macht, um die VW-Milliarden in neue zukunftsträchtige Technologien zu investieren, ist Sache des amtierenden Ministerpräsidenten Christian Wulff und seiner Regierung. Die ordnungspolitische Grundhaltung der Europa-Richter, das VW-Gesetz zu kippen, zielt nicht auf die Landesbeteiligung an sich, sondern auf den Missbrauch staatlicher Sonderrechte ab - und bekommt damit nicht nur in Niedersachsen, sondern weithin in Europa tagesaktuelle Brisanz.
Debatte um Staatsfonds
Dahinter steht die von Berlin in die EU getragene Diskussion, den Schutz von Schlüsselindustrien und Hightech-Branchen vor ausländischen Staatsfonds zu erhöhen. Die deutsche Regierung fürchtet ein Akzeptanzproblem, wenn Unternehmen reihenweise von Ausländern weggekauft werden. Das ist realistisch, verfügen Fonds aus China, Russland oder anderswo über gigantische Finanzreserven und sind deutsche Firmen, obwohl auf dem Weltmarkt exzellent aufgestellt, seit dem Fall der "Deutschland AG" ohne Schutz und im internationalen Maßstab oft billig zu haben. Doch wie weit kann - und darf - ein Schutzwall reichen, in einem Land, das im Zentrum Europas liegt und dessen erklärtes Ziel offene Märkte und reduzierte staatliche Einflussmöglichkeiten sind, um die Effizienz in der Wirtschaft zu steigern.
Fakt ist: Das europäische Recht mit den Grundprinzipien des freiheitlichen Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit gilt nicht nur für Investitionen aus EU-Ländern, sondern auch für solche aus Drittstaaten. Fakt ist auch: Die Grundfreiheit des Kapitalverkehrs kann für Direktinvestitionen durch einen einstimmigen Beschluss der Regierungen begrenzt werden. Daraus leitet sich umgekehrt aber ab: EU-rechtlich sind nationale Alleingänge, wie es Berlin für die Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes avisiert, äußerst heikel. Im Grunde können Staaten nur eingreifen, wenn, wie die Europa-Richter im früheren Urteil zur belgischen Distrigaz klargestellt haben, die öffentliche Sicherheit oder die Grundversorgung berührt sind und die Regierungen ihren Einfluss auf ein absolutes Minimum beschränken. Zudem hat London bereits politisch signalisiert, auf EU-Ebene keine Beschlüsse zur Begrenzung ausländischer Staatsfonds zu akzeptieren. Damit ist ein breit angelegter Vorstoß und internationaler Alleingang der EU schon jetzt Makulatur.
EU braucht offene Märkte
Ist die Sorge dennoch berechtigt, ausländische Fonds könnten keine wirtschaftlichen, sondern vorwiegend politische Ziele verfolgen? Wo ist der Unterschied zwischen einem Fonds aus Norwegen oder aus den Vereinigten Arabischen Emiraten? Gibt es die Trennlinie zwischen gutem und bösem Kapital? Nein, auch die Kapitalsammelstellen aus dem Norden der EU wie aus anderen Teilen der Erde nehmen keine Milliarden in die Hand, um sie in Europa ohne angemessene Rendite zu "verbrennen". Darüber hinaus ist Europa in der Vergangenheit mit der Politik offener Absatzmärkte hervorragend gefahren.
Die Gefahr lauert vielmehr auf der anderen Seite. Das Risiko, mit der Rückkehr Goldener Aktien den freien Kapitalverkehr schleichend auszuhebeln, ist vor allem innerhalb der EU reichlich vorhanden. Dazu reicht ein Blick nach Frankreich, Spanien oder Italien. Der deutsche Energieriese Eon - Ironie der Geschichte - weiß davon ein Lied zu singen. Trotz erheblicher Anstrengungen kam der Marktführer aus Düsseldorf bei der spanischen Endesa wegen der Madrider Blockadepolitik nicht zum Zuge. Sollten die Mitgliedstaaten die staatlichen Sonderrechte über den Umweg der Auslandsfonds wieder hoffähig machen, verlöre vor allem die EU-Kommission jegliche Motivation und Handhabe, gegen den Protektionismus in den Mitgliedstaaten und die beliebten nationalen Champions vorzugehen.
In dieser Gesamtgemengelage kommt das VW-Urteil aus Luxemburg zur rechten Zeit. Es ist die höchstrichterliche Ermahnung, die Herausforderung der Globalisierung über Wettbewerb und offene Märkte anzugehen. Die Transparenz angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten bei Staats- oder Hedgefonds zu erhöhen, das ist sinnvoll, ebenso wie straffere Governance-Vorschriften, um Anlegerstrategien seitens der Unternehmen besser einschätzen zu können - nicht aber mehr staatlicher Einfluss, um den gemeinschaftlichen Liberalisierungsauftrag zu unterlaufen. Der offene Finanzmarkt ist und bleibt die beste Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa - mit dem Einfluss von Porsche bei VW wie mit dem Kapital ausländischer Fonds an anderer Stelle.
(Börsen-Zeitung, 24.10.2007)
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