Alle Storys
Folgen
Keine Story von Börsen-Zeitung mehr verpassen.

Börsen-Zeitung

Börsen-Zeitung: Vertrackte Lage für die EZB, Kommentar von Jürgen Schaaf zur anstehenden Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank

Frankfurt (ots)

Der Blick in den Rückspiegel ist verpönt in
Notenbankkreisen. Geldpolitik muss nach vorne schauen, sozusagen 
durch die Windschutzscheibe. So lautet die herrschende Meinung. Etwas
konkreter heißt das, dass weder die aktuelle noch die zurückliegenden
Inflationsraten eine größere Rolle spielen sollen, wenn ein 
geldpolitisches Entscheidungsgremium zusammenkommt, um das 
angemessene Zinsniveau festzulegen. Wenn die Europäische Zentralbank 
(EZB) morgen über das Leitzinsniveau im Euroraum befindet, ist 
allerdings ein Bruch mit diesem Brauch geboten.
Dabei ist dieses Vorgehen grundsätzlich gut begründet. Denn die 
aktuelle Inflationsrate ist stets das Ergebnis der Geldpolitik von 
gestern. Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Hinzu kommt, dass in 
einem Umfeld niedriger Inflationsraten es vor allem Schocks wie 
Ausschläge bei Energieträgern oder Nahrungsmitteln sind, die die 
Inflationsrate zum vorübergehenden Überschießen bringen.
Diese Ausreißer beruhigen sich aber oft wieder von allein. 
Reagierte eine Notenbank mit steigenden Zinsen auf temporär höhere 
Inflationsraten, würde die Wirkung des geldpolitischen Impulses zu 
einem Zeitpunkt einsetzen, in dem das Vorzeichen der Störgröße sich 
bereits umgekehrt hat.
So weit, so gut. Derzeit ist die Lage aber vertrackter. Zwar 
spricht alles dafür, dass die Konjunktur im Euroraum bald deutlich 
abkühlen wird, was den Teuerungsdruck dämpft. Bisher gibt es aber 
keine harten Fakten hierfür. Das gilt vor allem für den Arbeitsmarkt,
der sich in ausgezeichneter Verfassung präsentiert. Die aktuelle 
Inflationsrate von 3,5% ist in diesem Umfeld ein schlagkräftiges 
Argument der Gewerkschaften, Lohnabschlüsse weit oberhalb des 
Produktivitätswachstums durchzuboxen. Und wird die Lohn-Preis-Spirale
erst einmal ausgelöst, reichen konjunkturelle Abkühlung und sinkende 
Rohöl- und Nahrungsmittelpreise - die noch nicht mal sicher sind - 
womöglich nicht aus, die Inflation wieder unter die Stabilitätsmarke 
von 2% zu drücken.
Wenn die EZB morgen den Leitzins festlegt, erscheint daher ein 
Blick in den Rückspiegel mehr als geboten, um nicht von der 
Vergangenheit eingeholt zu werden. Gegenwärtig sollte auch die hohe 
Inflationsrate die EZB davon abhalten, den Zins bereits zu senken. 
Stattdessen sollte sie vorerst am Niveau von 4% festhalten.
(Börsen-Zeitung, 9.4.2008)

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0

Original-Content von: Börsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Börsen-Zeitung
Weitere Storys: Börsen-Zeitung