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Börsen-Zeitung: Trübe Perspektiven, Kommentar zu Aktienmarkt und Ölpreis von Thorsten Kramer

Frankfurt (ots)

Mit der ungebremsten Rekordjagd der Ölpreise ist
an den Aktienmärkten ein potenzieller Risikofaktor bittere Realität 
geworden. Als wäre dies nicht genug, dämpfen die nachlassende Dynamik
der globalen Wirtschaft und die weiter schwelende Finanzkrise ohnehin
die Perspektiven an Europas Börsen. Die von vielen Analysten 
erwartete Kurserholung noch vor der Jahreshälfte ist in diesem Umfeld
verständlicherweise ausgeblieben. Und die Experten werden nicht 
umhinkönnen, ihre zumeist recht optimistischen Prognosen für das am 
Dienstag beginnende zweite Börsenhalbjahr alsbald zu korrigieren.
Die Rally am Ölmarkt kennt offenbar keine Grenzen. Der 
Terminkontrakt für ein Barrel Rohöl der US-Sorte West Texas 
Intermediate kletterte am Freitag erstmals über 142 Dollar. Vor einem
Jahr lag der Preis nur in etwa halb so hoch. Den jüngsten Preisschub 
zum Ende der nun abgelaufenen Handelswoche erklärten Akteure in 
erster Linie mit der Aussicht darauf, dass Libyen schon bald sein 
Fördervolumen kürzen könnte. Das nordafrikanische Opec-Mitglied prüft
eigenen Aussagen zufolge eine Reduzierung der Fördermenge als 
Reaktion auf die jüngsten Drohungen der Vereinigten Staaten gegen die
erdölexportierenden Länder, wie ein Regierungsvertreter sagte. In den
USA wird zur Zeit ein Gesetzesentwurf diskutiert, wonach das 
Justizministerium Opec-Länder verklagen kann. Im Mai hatte Libyen 
täglich rund 1,71 Mill. Barrel zur gesamten Opec-Produktion von 
täglich 32,12 Mill. Barrel beigesteuert.
Der Vorstoß Libyens war im Laufe der Woche nicht die erste 
Hiobsbotschaft, die der Ölmarkt zu verarbeiten hatte. Zuvor hatte 
bereits Opec-Präsident Chakib Khelil die Aufmerksamkeit auf sich 
gezogen, als er für den Sommer einen Anstieg der Ölnotierungen auf 
150 bis 170 Dollar vorhersagte.
Nun überrascht eine solche Aussage zunächst einmal nicht. 
Schließlich ist die Opec als Zusammenschluss der Ölexporteure an 
einem hohen Ölpreis interessiert. Nach dem enttäuschenden Resultat 
des Ölgipfels vor Wochenfrist in Saudi-Arabien könnte die Prognose 
des Präsidenten des Kartells allerdings schon sehr schnell wahr 
werden. Saudi-Arabien kündigte zwar eine Erhöhung der Produktion um 
täglich 200000 Barrel an, blieb damit aber am unteren Rand der 
Erwartungen. Weil zugleich Förderausfälle in Nigeria aufgrund neuer 
Unruhen bekannt wurden, reagierte der Ölpreis nicht auf die 
Ankündigung. Laut Unicredit entsteht dadurch das Risiko, dass an den 
Märkten die "Peak Oil"-Theorie an Überzeugungskraft und Zuspruch 
gewinnt und es selbst Saudi-Arabien nicht länger zugetraut wird, 
einem Ölpreisanstieg entgegenzutreten. Dies würde den Druck auf die 
Aktienkurse weiter erhöhen.
In einer aktuellen Untersuchung belegt die Commerzbank, dass der 
Anteil der Energiekosten an den Produktionskosten in Deutschland 
durch die Hausse am Ölmarkt wieder so groß ist wie zu Beginn der 
achtziger Jahre. Für die privaten Haushalte und die Unternehmen 
entstünden Belastungen in Höhe von 1% des Bruttoinlandsproduktes. 
Dies werde die Wirtschaft merklich bremsen, wodurch das Risiko einer 
Stagflation wächst. Denn der Ölpreisanstieg belastet nicht nur die 
Erwartungen an die Konjunktur. Eine ebenso bedeutsame Rolle spielt er
bei den wachsenden Inflationssorgen.
Wie das Statistische Bundesamt am Freitag nach vorläufigen 
Berechnungen meldete, kletterten die Verbraucherpreise im Juni im 
Vergleich zum Vorjahresmonat um 3,3%; dies war die höchste Rate seit 
15 Jahren. An den Finanzmärkten geistert daher längst das böse Wort 
der Stagflation umher, und die Konsumenten halten sich zunehmend 
zurück. Das stellt nicht zuletzt die Vorhersage eines anziehenden 
privaten Verbrauchs, der die deutsche Wirtschaft im Laufe des Jahres 
stabilisiert, in Frage.
Mit großer Spannung blicken die Akteure deshalb der 
Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) am kommenden 
Donnerstag und vor allem dem begleitenden Kommentar von EZB-Präsident
Jean-Claude Trichet entgegen - denn eine Anhebung des Leitzinses in 
der Eurozone um 25 Basispunkte auf 4,25% gilt an den Märkten als 
ausgemachte Sache. Angesichts der globalen konjunkturellen Abkühlung 
hatten sich Analysten dagegen für das zweite Halbjahr eher auf 
sinkende Zinsen in der Eurozone eingestellt.
Allein die Aussicht auf sinkende Leitzinsen hätte Europas Börsen 
sicherlich Auftrieb gegeben. Stattdessen tritt nun - zumindest 
vorerst - genau das Gegenteil ein. Auch dies dämpft die Perspektiven 
für Dividendentitel.
Der letzte Handelstag des ersten Halbjahres am Montag wird die 
Bilanz für die ersten sechs Monate kaum noch verändern. Somit blickt 
beispielsweise der deutsche Aktienmarkt auf einen kräftigen Verlust 
von 20% seit dem Jahreswechsel zurück. Ein ähnlich schwaches Halbjahr
war zuletzt in der zweiten Hälfte 2002 zu verzeichnen. Damals ging es
allerdings recht schnell ab dem Frühjahr 2003 wieder nachhaltig 
aufwärts. Eine ähnliche Reaktion der Märkte wie damals erscheint zur 
Zeit angesichts der zahlreichen Belastungen dagegen nur schwer 
vorstellbar.

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