Börsen-Zeitung: Decoupling - eine Illusion, Kommentar zu den Finanzmärkten von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Die Finanzmärkte leben zu einem guten Teil von Mythen. Ein solcher Mythos ist das "Decoupling" der Emerging Markets, die vermeintliche Abkopplung der Schwellenländer von den Industrienationen. Er wird in diesen Wochen einem schweren Test unterzogen, und es ist zu befürchten, dass er von der Realität zerstört wird.
Mit Decoupling verbindet sich die Vorstellung, dass die durch die Subprime-Krise verstärkte Abschwächung des Wirtschaftswachstums in den Industrienationen den boomenden Emerging Markets nur wenig anhaben kann, weil diese zunehmend ein von verstärkter Binnennachfrage und wachsendem Handel untereinander genährtes Eigenleben führen. Daraus ist die Hoffnung abgeleitet worden, dass auch die Aktienmärkte der Schwellenländer Immunität gegenüber Schwächen in den Industrienationen entwickeln könnten.
Nachdem eine Phase vorübergehender Stabilität in den Emerging Markets bei nachgebenden Kursen in den Industrieländern diese These zu unterstützen schien, bricht ihr mittlerweile die Basis weg. Die Emerging Markets erleiden teilweise dramatische Einbußen und folgen damit den Vorgaben der Industrieländer. Inzwischen legen sie sogar eine Underperformance gegenüber den entwickelten Märkten an den Tag. Gemessen am MSCI Emerging Markets haben sie seit Jahresbeginn 17% eingebüßt, während sich das Minus beim MSCI World auf 13,6% beschränkt. Seit dem Beginn der aktuellen Schwäche am 20. Mai hat der MSCI World 12% verloren, der MSCI Emerging Markets 17,3%.
Von Zuflüssen abhängig
Die Aktienmärkte der aufstrebenden Länder können sich gar nicht von der Krise in den Industrienationen abkoppeln, weil sie immer noch sehr stark von Kapitalzuflüssen aus den entwickelten Volkswirtschaften abhängen. Nachdem diese den Boom in den Emerging Markets genährt haben, lösen eine verstärkte Risikoreduktion bzw. die schlichte Notwendigkeit, Verluste am Heimatmarkt auszugleichen, nun umfangreiche Mittelrepatriierungen aus.
Ob die Decoupling-These auch auf realwirtschaftlicher Ebene ins Reich der Mythen verwiesen wird, muss sich noch erweisen. Bislang hat sich das Wachstum der Schwellenländer nur leicht abgeschwächt. Erklärt wird dies unter anderem damit, dass der Anteil der USA an den Ausfuhren der Schwellenländer stark abgenommen hat. Noch kann aber nicht abgeschätzt werden, wie sich die Abschwächung Europas auswirken wird, dessen Anteil an den Ausfuhren stark gewachsen ist. Weitaus größere Risiken gehen für die Schwellenländer jedoch vom eigenen Boom aus. Die kräftig anziehende Nachfrage der Emerging Markets treibt die Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise und damit auch die Inflationsraten auf mehrjährige Höchststände. Das veranlasst die Notenbanken, noch auf die Bremse zu treten, was das Wachstum gefährdet.
Globales Problem
Dies ist aber kein Emerging- Markets-Problem, sondern ein globales. Auch in den Industrieländern zieht die Inflation durch die steigenden Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise an. Verstärkt wird dies noch dadurch, dass sich die Billigimporte aus China und anderen Ländern durch die dort steigenden Kosten verteuern, wodurch der von dieser Seite ausgehende Druck auf das Preisniveau nachlässt.
Die Schlagzeilen der letzten Tage sprechen für sich. In Euroland klettert die Inflation auf 4%, mit 4,25% hat auch der Leitzins der Region einen mehrjährigen Höchststand erreicht. In Schweden erhöht die Notenbank den Leitzins auf 4,50% und deutet noch zwei Schritte noch für dieses Jahr an, weil die Inflation den höchsten Stand seit Mitte der neunziger Jahre erreicht hat. Die indonesische Zentralbank hebt ihren Leitzins an, auf den Philippinen und in Indien werden nach der Veröffentlichung auf mehrjährige Höchststände gestiegener Inflationsraten restriktive geldpolitische Schritte avisiert. Das Gleiche gilt für Chile, wo die Teuerung mit 9,5% das höchste Niveau seit 17 Jahren erreicht hat. Ob Schwellen- oder Industrieland: Überall das gleiche Bild. Decoupling ist im Zeitalter der Globalisierung nur eine Illusion.
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