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Börsen-Zeitung: Die neuen Staatsbanken Kommentar zur Lage der Banken, von Bernd Wittkowski.

Frankfurt (ots)

Wir schreiben das Jahr 2020. Eine neue
Privatisierungswelle rollt durch Deutschland. Elf Jahre nach dem 
fehlgeschlagenen ersten Versuch wird das Kombinat 
"Finanzmarktstabilisierungsfonds" entflochten, die Volkseigenen 
Betriebe (VEB) wie Deutsche Bank, DZ Bank - Die Initiativbank und 
SüdLB werden (re)privatisiert. Auch im Ausland machen die 
Wiedereinführung der Marktwirtschaft und der Rückzug des Staates aus 
dem Bankwesen Fortschritte. Erste Tranchen des Kapitals von Goldman 
Sachs und Royal Bank of Scotland, deren Listing kurz nach der 
Verstaatlichung eingestellt worden war, werden an die Börse gebracht.
So weit kurz zusammengefasst Szenario I.
Zu karikierend angesichts der ungemein kritischen bank- und 
welthistorischen Phase, in der die Wirtschaft am Abgrund steht? Ende 
vorigen Jahres schrieben wir in einem satirischen Ausblick auf 2008, 
der chinesische Staatsfonds CIC werde Goldman Sachs übernehmen. Auch 
bei der amerikanischen Investmentbank selbst hat man sich damals 
köstlich amüsiert. Zehn Monate später, da nicht nur hierzulande, 
sondern allen voran in den kapitalistischen Musterländern USA und 
Großbritannien der Weg geebnet wird für erste Teilverstaatlichungen 
von Banken, bleibt den Betroffenen das Lachen im Halse stecken. Wir 
erleben Realsatire, und es ist alles andere als witzig.
Was El Kaida mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht 
gelungen ist, nämlich den Westen und sein Wirtschaftssystem mitten 
ins Herz zu treffen und zu destabilisieren, damit zumindest dessen 
Verletzlichkeit zu demonstrieren - ein paar wildgewordene Hasardeure 
vor allem aus der US-Finanzindustrie haben gute Aussichten, es zu 
schaffen: Die Marktwirtschaft westlicher Prägung zeigt 
Auflösungstendenzen. Und die Erosion der politischen Landschaft 
dürfte alsbald folgen. Denn auch als Wahlhelfer Oskar Lafontaines 
leisten die Urheber der Krise ganze Arbeit. Kurios daran: Der 
(Selbst)Zerstörungsmechanismus des Systems funktioniert, schon bevor 
die Linke im Bund an die Macht gekommen ist.
Jene, die den Kapitalismus seit langem vergebens politisch 
bekämpfen, können ihr Glück über die ihnen von der Hochfinanz auf dem
Silbertablett servierte Staatswirtschaft kaum fassen. "Neoliberale 
Hardliner" nähmen mit der Teilverstaatlichung des Finanzsektors 
Positionen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac ein, 
frohlockt Juso-Chefin Franziska Drohsel. Mal abgesehen davon, dass es
von Neoliberalismus in der Politik weit und breit keine Spur gibt: 
Hat die Vorsitzende des SPD-Nachwuchses denn unrecht?
Sicher: Jetzt ist die Zeit für entschlossenes, pragmatisches 
Handeln und nicht für ideologischen Streit, übrigens auch nicht 
zwischen den drei Säulen des Kreditgewerbes. Aber man wird ja noch 
mal fragen dürfen, was das denn für eine Marktwirtschaft ist, in der 
gescheiterte Unternehmen nicht aus dem Wettbewerb ausscheiden müssen 
und dürfen, weil sie zu groß respektive systemrelevant sind.
Im Kampf gegen diese Bankenkrise und ihre Weiterungen brechen alle
Dämme. Nicht genug, dass allein in Deutschland in einer Art 
Notstandsgesetzgebung vorerst bis zu rund 500 Mrd. Euro und weltweit 
etliche Billionen Dollar auf Kosten der Steuerzahler zur Rettung der 
Finanzwirtschaft ausgelobt werden; schon die umfassende Garantie für 
Bankverbindlichkeiten macht das Kreditwesen ja zu einer weitgehend 
staatlichen Veranstaltung. Aber haben wir Krieg, dass - neben Teilen 
der Insolvenzordnung oder des Wertpapierhandelsgesetzes - 
demokratische, wiewohl in diesem Fall nur aktionärsdemokratische, 
Rechte wie jenes der Hauptversammlung, eine Kapitalerhöhung zu 
beschließen, mal eben außer Kraft gesetzt werden können? Oder 
herrscht Anarchie, dass bei der Bilanzierung mitten in der 
Rechnungsperiode hektisch über den Haufen geworfen werden muss, was 
gerade noch als der Weisheit letzter Schluss galt: die Bewertung zu 
Marktwerten?
Man hat Mühe, zu folgen: den bis vor kurzem unvorstellbaren 
Ereignissen und den Akteuren in ihrer ganzen Sprunghaftigkeit. War 
nicht noch vor einem Monat die Schaffung neuer nationaler 
Bankenchampions nicht nur für die Branche selbst, sondern vor allem 
für die Politik und die allermeisten Kommentatoren der angesagteste 
Megatrend? Heute denken die entzauberten Apologeten der 
Konsolidierung laut über die Entflechtung der 
Too-big-to-fail-Giganten nach und lobpreisen die Kleinteiligkeit im 
Kreditwesen, als hätte es nie eine Dreisäulendebatte gegeben.
Doch wozu überhaupt noch Banken? Der globale Trend zur Staatsbank 
zeigt: Es könnte auch ohne private Geldinstitute gehen. Das ist 
Szenario II: Das Einlagengeschäft besorgt die Finanzagentur, die 
zurzeit ohnehin mächtig en vogue ist, Kredite reicht der neue 
Finanzmarktstabilisierungsfonds gleich direkt aus, statt die Vergabe 
nur per Bankengarantie zu stimulieren. Vielleicht bekommt Bill Gates 
- "Banking is necessary, banks are not" - noch recht, wenn auch ganz 
anders als erwartet. Schon wieder zu karikierend? Diese Krise hat 
noch stets gelehrt, dass mit ihrer Realität keine Satire mithalten 
kann.
(Börsen-Zeitung, 14.10.2008)

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