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Börsen-Zeitung: Der Wechsel, Kommentar von Bernd Neubacher zur Wahl Barack Obamas zum künftigen US-Präsidenten

Frankfurt (ots)

Schon wieder wird Geschichte geschrieben: Gerade
erst eskalierte am Finanzmarkt die schwerste Krise, die die meisten 
Marktteilnehmer bisher erlebt haben, da kommt es in der Politik zu 
einer historischen Zäsur. Erstmals wird ein Afroamerikaner Präsident 
der Vereinigten Staaten. Möglicherweise haben sich in den USA alle 
ethnischen Vorurteile aufgelöst. Vermutlich aber war angesichts 
zweier Kriege, einer Finanzkrise und einer sich anbahnenden Rezession
auch nur der Leidensdruck der Wähler zu groß. 14 Jahre lang haben die
Republikaner den Kongress kontrolliert, den Präsidenten gestellt oder
beides zugleich. Nun wollten die US-Bürger den Wechsel. Obamas Status
als Außenseiter wirkte da wie ein Versprechen. Mit der Verheißung von
Wandel allein lässt sich zwar kein Staat machen, wohl aber Wahlen 
gewinnen, wie Barack Obamas Erfolg zeigt.
Eine satte Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus ermöglicht ihm
nun, seine Vorstellungen zügiger durchzusetzen als sein Vorgänger, 
auch wenn die Demokraten die Marke von 60 der 100 Sitze im Senat 
verfehlen, die es erlaubt, den Widerstand der Minderheit gegen 
Gesetzentwürfe und Richterernennungen zu minimieren.
Schon vor dem Urnengang waren Analysten mit Listen von Branchen 
bei der Hand, die ein Wahlerfolg Obamas zu Gewinnern bzw. Verlierern 
machen werde - ins Töpfchen gehören demnach unter anderem die Titel 
börsennotierter Betreiber von Krankenhäusern und Altenheimen sowie 
Anbieter alternativer Energien. Im Kröpfchen landen dagegen 
Pharmawerte, Hersteller gehobener Konsumgüter, Energiedienstleister 
sowie Unternehmen, denen eine gewerkschaftsfreundlichere Gesetzgebung
Ungemach bringen könnte. Anleger sollten auf solche Studien nichts 
geben - kann Obama den freien Fall der Wirtschaft nicht stoppen, 
werden Investoren ganz andere Probleme haben als die 
Branchenselektion.
Zwar sind die Sätze im Interbankenhandel zuletzt zurückgekommen, 
und auch der Markt für kurzfristige, unbesicherte 
Schuldverschreibungen hat nicht zuletzt dank Garantien durch die 
Notenbank in den vergangenen Tagen Lebenszeichen von sich gegeben. 
Der Realwirtschaft aber steht die Talsohle in jedem Fall noch bevor. 
Die Banken in den USA fahren ihre Kreditvergabe weiter zurück. Auch 
im laufenden Quartal sollte das Bruttoinlandsprodukt (BIP), stärker 
noch als im vergangenen Dreimonatszeitraum, schrumpfen. Im 
verarbeitenden Gewerbe liegen die Aktivitäten auf dem tiefsten Niveau
seit 26 Jahren. Neue Hiobsbotschaften dürften schon am Freitag mit 
dem Arbeitsmarktbericht für Oktober ins Haus stehen. Ökonomen 
erwarten, dass außerhalb der Landwirtschaft 200000 Stellen verloren 
gegangen sind.
Für den neuen Präsidenten ist nach der Wahl damit vor der Wahl: Er
muss schleunigst die Mitglieder eines "Schattenkabinetts" benennen, 
das die Kooperation mit dem ausscheidenden Kabinett sucht. Dabei 
kommt es vor allem auf die Nominierung des künftigen Finanzministers 
an. Er muss in den verbleibenden zehn Wochen bis Amtsantritt eine 
Politik für das 700 Mrd. Dollar schwere Rettungspaket entwickeln und 
entscheiden, wie es für die unter Zwangsverwaltung gestellten 
Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sowie mit den 
öffentlichen Bankenbeteiligungen weitergehen soll. An maladen 
Instituten hat sich ein Staat schnell beteiligt, der Rückzug, sofern 
er gewünscht ist, gestaltet sich da schon komplizierter.
Obama wird versuchen, dies vorerst vergessen zu machen und den im 
Wahlkampf zur Schau gestellten Optimismus auf die US-Bürger zu 
übertragen. Ein sonniges Gemüt schlägt sich zwar nicht messbar im BIP
nieder. Greift allgemein Zuversicht um sich, beeinflusst dies aber 
sehr wohl Konsum und Investitionen. Schon der Schauspieler Ronald 
Reagan sowie Strahlemann Bill Clinton wussten dies zu Amtsantritt zu 
nutzen, und Hoffnungen hat Obama ja zumindest den Wählern bereits 
eingeflößt, die er seiner Partei neu erschlossen hat. Bei den 
Anstrengungen zur Belebung der Konjunktur braucht die kommende 
Regierung nicht zuletzt Glück, anders als das scheidende Kabinett, 
dessen insgesamt 170 Mrd. Dollar schweres Konjunkturpaket vom 
Frühjahr infolge rekordhoher Benzinpreise verpuffte.
Zweierlei steht wohl jetzt schon fest. Erstens: Das 
Haushaltsdefizit wird weiter steigen, entweder infolge neuer 
Konjunkturprogramme, wenn die Krise andauert - oder weil das 
Finanzministerium dem Erfolg seiner Bemühungen um eine Erholung zum 
Opfer fällt. Denn führen seine Anstrengungen zum Ziel und die Lage 
verliert an Brisanz, dürften Anleger Geld aus dem vermeintlich 
sicheren Hafen der Staatsanleihen abziehen und damit dem Schatzamt 
die Refinanzierung verteuern. Für Treasuries verheißt beides nichts 
Gutes.
Zweitens: In einer Rezession wird sich Obama kaum trauen, wie im 
Wahlkampf angekündigt Steuern zu erhöhen und die Abgaben auf 
Kapitalerträge heraufzusetzen. Die Konjunktur hat jetzt Vorrang vor 
der politischen Agenda. Das weiß auch ein Präsident, der Geschichte 
schreibt.
(Börsen-Zeitung, 6.11.2008)

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