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Börsen-Zeitung: Der große Leichtsinn, Kommentar von Jürgen Schaaf zur Geldpolitik der US-Notenbank

Frankfurt (ots)

Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat den
Leitzins praktisch auf Null gesetzt. Damit ist der Instrumentenkasten
der konventionellen Geldpolitik leer geräumt. Die Grenzen der 
Orthodoxie bedeuten jedoch nicht, dass die Währungshüter rund um 
Fed-Chef Ben Bernanke mit ihrer Weisheit am Ende sind. Um den Absturz
der US-Wirtschaft abzufedern und eine Deflationsspirale zu vermeiden,
wird man auch vor unkonventionellen Methoden nicht zurückschrecken. 
Vielleicht sind solche Experimente angesichts der drohenden 
Depression in den USA tatsächlich alternativlos - trotzdem sind die 
Ankündigungen der Fed nur sehr eingeschränkt gute Nachrichten.
Den US-amerikanischen Kriminalfilm "The Big Easy" (auf Deutsch: 
Der große Leichtsinn) aus dem Jahr 1987 dürften die amerikanischen 
Notenbanker zwar nicht im Sinn haben, wenn sie nun angesichts 
fehlender Alternativen den Modus der Geldpolitik ändern. Dabei ist 
das "Quantitative Easing", wie Experten es nennen, wenn Notenbanken 
die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft nicht mehr über den 
Leitzins, sondern über die Menge steuern, durchaus mit erheblichen 
Risiken verbunden.
Der historische Präzedenzfall geht auf den Regimewechsel der Bank 
von Japan (BoJ) vom März 2001 zurück. Die BoJ versuchte, über 
Quantitative Easing gegen die Deflation der 1990er Jahre anzukämpfen.
Als der Leitzins in Japan zwischen Februar 1999 und August 2000 die 
Nulllinie erreicht hatte, waren die konventionellen Möglichkeiten der
Notenbank zur Reanimation der Wirtschaft - also Leitzinssenkungen - 
ausgeschöpft. Stattdessen kaufte die BoJ Kreditinstituten ab Frühjahr
2001 Wertpapiere, vor allem japanische Staatsanleihen, ab, beließ 
aber den Leitzins nach einer vorangegangenen Erhöhung bei 0,25% und 
ging nicht mehr zurück zur Nullzinspolitik. Dies erhöhte die 
Zentralbankgeldmenge, das die Grundlage für die Kreditvergabe an den 
realwirtschaftlichen Sektor darstellt.
Die Logik hinter der Mengenpolitik ist, dass die Banken ihre 
nicht-verzinsten Überschussguthaben bei der Zentralbank nutzen 
würden, um die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalten 
auszuweiten. Zudem sollte der Aufkauf von Staatsanleihen 
fiskalpolitische Maßnahmen über das Dämpfen des Anstiegs bei den 
langfristigen Zinsen flankieren.
Das ist genau das, was die Fed nun vorhat. Allerdings waren die 
Japaner nicht besonders erfolgreich mit diesem Ansatz. Nach 
Berechnungen der Deutschen Bank schrumpfte die Kreditvergabe in Japan
von 3,3% im Jahr 2001. Im Jahr 2003 ging sie sogar noch stärker 
zurück, nämlich um 3,8%. Auch lässt sich ein zusätzlicher 
fiskalischer Impuls, der durch das Quantitative Easing ausgelöst 
worden wäre, nicht nachweisen. So hat sich das strukturelle Defizit 
Japans in der Phase der Mengenpolitik lediglich in einem schmalen 
Band von 4,4 bis 5,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bewegt.
Die japanischen Erfahrungen sprechen grundsätzlich nicht dafür, 
allzu viel Hoffnung in das Quantitative Easing zu setzen. Aber selbst
wenn es den Amerikanern gelingt, dass Fiskus und Notenbank ihre 
Maßnahmen besser abstimmen, um die nominale Nachfragekluft zu 
schließen, die sich aufgetan hat, nachdem Immobilienmarkt und der 
private Bankensektor praktisch zusammengebrochen sind, bleiben die 
realen Anpassungseffekte unvermeidbar.
Für den Kreditsektor heißt das etwa, dass durch Quantitative 
Easing (und was alles noch danach kommen mag) kränkelnde Banken zwar 
eventuell aufgepäppelt, strukturelle Anpassungsprozesse dadurch aber 
lediglich verzögert werden. Und wenn der designierte US-Präsident 
Barack Obama parallel umfangreich Infrastrukturprojekte startet, 
dürfte das Zehntausende von Bauarbeitern vorerst in Lohn und Brot 
halten. Aber diese Brücken und Tunnel, die womöglich ins Nirgendwo 
führen, müssen erstens über eine drastische Schuldenausweitung 
und/oder durch strukturell deutlich höhere Inflationsraten erkauft 
werden. Und zweitens führt über kurz oder lang kein Weg daran vorbei,
dass die Überkapazitäten im Bau- und Bankensektor dennoch abgebaut 
werden müssen.
Die wirtschaftspolitische Antwort der USA dürfte im Ideal auf 
einen Mix von leicht beschleunigter Inflation und gedämpftem Wachstum
im Vergleich zu "normalen Zeiten" hinauslaufen. Zwar ist das Spektrum
zwischen diesen beiden Übeln ausgesprochen breit. Aber die schmale 
Ideallinie zu finden, ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Dieses
wirtschaftspolitische Experiment findet zudem nicht unter 
Laborbedingungen statt, sondern in der Realität der größten 
Volkswirtschaft der Welt.
Der nun vollzogene Übergang zur Kombination aus Nullzinspolitik 
und Quantitative Easing ist nur in zweiter Linie Ausdruck der 
Handlungsfähigkeit und -bereitschaft der amerikanischen Geldpolitik. 
In erster Linie geben sie Zeugnis ab über die Dramatik des 
wirtschaftlichen Niedergangs, der den USA unweigerlich bevorsteht.
(Börsen-Zeitung, 18.12.2008)

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