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Börsen-Zeitung: Halbgares aus Berlin, Leitartikel von Stephan Lorz zur zögerlichen Krisenbekämpfungs-Politik der Bundesregierung

Frankfurt (ots)

Die Konjunkturlage in Deutschland stellt sich
von Tag zu Tag dramatischer dar. Inzwischen ist das 
Ifo-Geschäftsklima auf den niedrigsten Stand gefallen seit der 
zweiten Ölkrise Ende 1982. Der Industrie brechen die Aufträge in 
Rekordgeschwindigkeit weg. Und der Einkaufsmanagerindex befindet sich
auf seinem Allzeittief. Die konjunkturelle Abwärtsdynamik wird nach 
den jüngsten Daten also noch weiter an Fahrt gewinnen. Da braucht es 
auch keine düsteren Institutsprognosen für das nächste Jahr mehr: Die
harten Fakten und die desaströs ausgefallenen Wirtschaftsumfragen 
machen schon Angst genug. Von der schwersten Rezession seit dem 
Zweiten Weltkrieg ist mittlerweile die Rede.
Umso wichtiger wäre es, wenn die Bundesregierung jetzt 
Führungskraft bewiese. Das aber geschieht nicht. Bundeskanzlerin 
Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück fassen immer 
erst dann konjunkturstützende Maßnahmen ins Auge, wenn der nationale 
und internationale Druck zu groß wird und das Ansehen Deutschlands 
unter dieser Zögerlichkeit leidet. Und selbst dann, wenn die 
Bundesregierung sich auf ein Aktionsprogramm verständigt hat, wird 
nur Halbgares geboten. Das war so beim ersten Konjunkturpaket der 
Fall, das die "Fünf Wirtschaftsweisen" auch abfällig als 
"Sammelsurium von Einzelmaßnahmen" kritisierten. Sein fiskalischer 
Nachfrageimpuls von gerade mal 5 Mrd. Euro für 2009 wurde zudem als 
viel zu gering empfunden. Der frisch gekürte Nobelpreisträger Paul 
Krugman warf Merkel und Steinbrück darum ob ihrer Zurückhaltung 
hochgradigen "Realitätsverlust" vor. Sie hätten den Ernst der Lage 
nicht begriffen.
Und auch beim jetzt debattierten zweiten Konjunkturpaket, das im 
Januar spruchreif sein soll, verliert man sich wieder im Klein-Klein.
Gewiss, der bisher so knausrige Haushälter Steinbrück gibt ein paar 
Milliarden frei, doch zurück bleibt der Eindruck, dass die 
Bundesregierung wieder einmal der Entwicklung hinterherläuft. Ein 
solches Vorgehen schafft kein Vertrauen bei Investoren und 
Konsumenten. Wie sollen sie auch auf die Zukunft setzen und 
entsprechend handeln, wenn die Politik stets nur nachvollzieht, was 
ohnehin passiert, und wenn ihr keine andere Alternative mehr bleibt? 
Der Staat springt zwar bei und stopft mit seiner Nachfragemacht auch 
einige Löcher, die private Unternehmen hinterlassen, aber es fehlt 
schlicht die Perspektive, die es Investoren erlaubt, im Vertrauen auf
Besserung eigene Mittel lockerzumachen, und die den Konsumenten die 
Angst vor Jobverlust oder Lohnkürzung nimmt.
Statt ein langfristig angelegtes Konzept vorzulegen, das 
kurzfristig ausgerichtete Feuerwehreinsätze mit einer strukturellen 
Umsteuerung hin zu mehr Binnennachfrage verbindet, wird darum 
gefeilscht, wessen Wählerklientel mit welchen Summen befriedigt 
werden soll. Die SPD wendet sich traditionell an die unteren 
Einkommensschichten und will Sozialversicherungsbeiträge 
heruntersubventionieren mit dem Argument: die geben das Geld auch 
gleich wieder konjunkturstimulierend aus und legen es nicht auf die 
hohe Kante. Nebenbei wird damit noch flugs in der Wählerschaft der 
Linken gewildert. Die CSU stellt sich auf Seiten der Steuerzahler, 
die den Staat finanzieren - und ja auch letztlich für die im Rahmen 
der Konjunkturrettung gemachten Schulden aufkommen müssen. Eine 
Entlastung für sie wäre längst überfällig - Stichwort: kalte 
Progression. Sie haben in den vergangenen Jahren ohnehin an Kaufkraft
verloren, und es hat sich bei ihnen ein gewaltiger konsumtiver 
Nachholbedarf aufgestaut. Wollte man diese - letztlich die 
Gesellschaft zusammenhaltende - Gruppe in der Krise übergehen, wäre 
der Vertrauensverlust so groß, dass später an einem nachhaltigen 
selbsttragenden Aufschwung überhaupt nicht mehr zu denken wäre. Und 
die Merkel-CDU? Die steht zwischen allen Fronten. Sie geriert sich 
"neutral" und setzt auf die Macht der Staatsausgaben: Vorgezogene und
ausgeweitete Infrastrukturprojekte, Investitionen in Schulen und 
Forschungsstätten sollen für den nötigen Konjunkturschub sorgen.
Grundsätzlich lassen sich alle drei Positionen inhaltlich gut 
vertreten. Das eine setzt kurzfristig an (Entlastung bei den 
Sozialausgaben), das andere startet mittelfristig 
(Investitionsprogramme des Staates), und das dritte wirkt langfristig
(Steuersenkung). Dies wären auch die ersten Schritte, um Deutschland 
von seiner Exportabhängigkeit etwas zu befreien und die 
Binnennachfrage anzukurbeln, wie das die meisten anderen europäischen
Länder auch tun. Als größte Volkswirtschaft Europas und langjähriger 
Exportprofiteur hat Deutschland schließlich eine Verantwortung 
gegenüber seinen Nachbarstaaten und Handelspartnern. Allerdings 
müssten diese drei Schritte aufeinander abgestimmt sein und der 
Öffentlichkeit entsprechend glaubwürdig vermittelt werden, um Wirkung
zu entfalten. Dazu braucht es einen großen Wurf, der Eindruck macht, 
ein in sich stimmiges Konzept, dem sich alle regierenden Parteien und
Gebietskörperschaften verpflichtet fühlen, und ein Programm in einer 
Dimension, die beeindruckt. Denn Konsumenten und Investoren reagieren
zwar auf fiskalische Anreize, doch noch viel entscheidender sind ihre
Zukunftserwartungen - aber die adressiert Berlin bisher gar nicht.
(Börsen-Zeitung, 19.12.2008)

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