Börsen-Zeitung: Der Ölpreis als Augenöffner, Börsenkommentar "Marktplatz" von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots)
In der gerade beendeten Aktienwoche hat die Rally am deutschen Aktienmarkt eine Verschnaufpause eingelegt. Unterm Strich blieb im Vergleich zum Freitag der Vorwoche ein kleines Minus von 0,7% übrig. Dem Dax gelang es nicht, wieder über die Marke von 5100 Punkten zu klettern. Er blieb zum Wochenausklang bei 5069 Zählern hängen. Dies verwundert eigentlich, weil doch diejenigen Kräfte und Faktoren intakt sind, die den Markt in den vergangenen Wochen angetrieben haben.
Nach wie vor machen Marktteilnehmer allerorten zarte grüne Sprösslinge konjunktureller Art in Gestalt von Frühindikatoren aus, die anzeigen sollen, dass die makroökonomische Bodenbildung eingesetzt hat und der Absturz der Volkswirtschaften somit vorüber ist. Zudem ist an den Aktienmärkten viel Liquidität vorhanden und es haben viele Marktteilnehmer, die erst sehr spät auf den Zug aufgesprungen sind, ein Interesse daran, dass die Hausse weitergeht.
Ein wichtiges Argument für die Fortsetzung des Aufwärtstrends sind die Gewinnschätzungen für die börsennotierten Unternehmen. Im Schlussquartal 2007 waren sie noch unrealistisch hoch, inzwischen sind sie sehr deutlich reduziert worden. Nach Berechnungen der Analysten der DZ Bank sind die Dax-Ergebnisprognosen für das Geschäftsjahr 2009 um 59% und diejenigen für 2010 um 42% gekürzt worden. Damit, so merken die Experten an, sei das Ausmaß der Gewinnrevisionen früherer Rezessionen deutlich übertroffen worden. Ferner hat sich die Geschwindigkeit der Anpassungen deutlich verkleinert. Seit Beginn des aktuellen zweiten Quartals seien die Erwartungen für 2009 nur noch um 10% zurückgenommen worden. Für 2010 seien sie sogar stabil gehalten worden.
Hinzu kommt, dass das Bewertungsniveau für die deutschen Blue Chips nach wie vor recht günstig erscheint - zumindest, wenn man die Prognosen für 2010 zugrunde legt. Auf dieser Basis beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Dax entspannte 11,9. Zum Vergleich: Der langjährige Durchschnitt liegt bei einem KGV von 15,8. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dieses historische Mittel auch durch die rasanten Haussen der vergangenen zwei Jahrzehnte stark mitgeprägt ist, die sich von der Entwicklung davor deutlich unterschieden. Und betrachtet man statt des 2010er-KGV dasjenige auf Basis der Erwartungen für das laufende Jahr, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Mit einem Kursniveau vom 16,1-fachen der Gewinne lässt sich nicht wirklich von einem preisgünstigen Markt sprechen.
Und auch was die sogenannten "Green Shoots" betrifft, also die bereits erwähnten zarten Sprösslinge, sieht die Lage nicht ganz so freundlich aus, wie der Markt sie derzeit wahrnimmt. Die zuletzt veröffentlichten Konjunkturdaten sind nämlich nicht besonders gut ausgefallen. So haben, wie die Aktienexperten der Landesbank Baden-Württemberg anmerken, die Auftragseingänge vom April nicht an das überdurchschnittliche Plus vom März anknüpfen können. Bei den Investitionsgütern und den Bestellungen aus dem Ausland seien sogar deutliche Rückgänge zu verzeichnen gewesen. Die deutsche Industrieproduktion hat ebenfalls enttäuscht. Sie fiel im April um 2% hinter den Vormonatswert zurück. Auch bei den Geschäftsklimaindizes als klassische Frühindikatoren machen die Analysten bestenfalls eine Bodenbildung aus. Es mangelt derzeit also an harten Makrodaten, die den kräftigen Optimismus der Börse untermauern könnten.
Es gibt noch einen weiteren Faktor, der hinsichtlich der Fortsetzung der Rally pessimistisch stimmt. Der Ölpreis scheint sich inzwischen oberhalb von 70 Dollar je Barrel festgesetzt zu haben-mit weiter steigender Tendenz, weil viele Finanzinvestoren mit umfangreichen Mitteln auf eine anhaltende Verteuerung des weltweit wichtigsten Energieträgers gesetzt haben. Noch erlauben sich die Akteure am Aktienmarkt den Luxus, den Ölpreisanstieg als Anzeichen der Konjunkturerholung zu interpretieren. Sollte Öl aber, wie Rohstoffexperten erwarten, Richtung 100 Dollar tendieren, dürfte er sich für Konjunktur und Unternehmen zu einem erheblichen Belastungsfaktor entwickeln. Er könnte sich dann als der Augenöffner erweisen, der den Marktteilnehmern die tatsächliche Situation nahe bringt.
(Börsen-Zeitung, 13.6.2009)
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