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Börsen-Zeitung: Illusion der Unterbewertung, Kommentar zu den Finanzmärkten von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots)

Vor ein paar Tagen sah es noch so aus, als würde
den globalen Aktienmärkten der Welt eine Korrekturphase bevorstehen. 
Die massiven Kursverluste an den überbewerteten chinesischen 
Festlandbörsen sorgten für Schockwellen rund um den Globus. Abzulesen
war das an den als "Angstbarometer" angesehenen Volatilitätsindizes 
VDax in Deutschland und VIX in den USA, die mit über 30 bzw. fast 18 
Zählern Niveaus erreichten, von denen man dachte, dass sie im Zuge 
des Ausklingens der Krise Vergangenheit wären. Zum Wochenende hin hat
sich die Lage aber wieder merklich entspannt. Der deutsche 
Aktienmarkt hat zuletzt drei Tage mit Gewinnen verzeichnet, auch in 
den USA sieht die Lage freundlich aus.
Positive Makrodaten
Getragen wurde die Aufwärtsbewegung an den Börsen von positiven 
Konjunkturdaten. Deutschland, Frankreich und sogar Japan haben die 
Rezession offenbar hinter sich gelassen. Der Internationale 
Währungsfonds IWF hat in der gerade beendeten Börsenwoche in einer 
Studie dasselbe auch für die globale Wirtschaft festgestellt. Im 
Inland hellt sich neuesten Umfragen zufolge sogar das Sentiment der 
Marktteilnehmer auf, das im Vergleich zu der deutlich positiveren 
Stimmung der Anleger an anderen wichtigen Märkten auffällig 
hinterherhinkte.
Dass es in China zu einer Korrektur kommen würde, hätte eigentlich
allen Beteiligten klar sein müssen. Das Reich der Mitte ist 
hinsichtlich der Bewertung der Aktien an den Festlandbörsen ein 
Sonderfall. Kein anderer bedeutender Markt erreichte ein 
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 30. Zum Vergleich: Gemessen an 
den Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate liegt das 
durchschnittliche KGV der Dax-Werte bei schlappen 12. Die Bewertung 
des deutschen Marktes liegt also - trotz der ungewöhnlich 
ausgeprägten Rally, die den Leitindex seit dem Tief vom März um rund 
50% nach oben getrieben hat - deutlich unter dem Durchschnitt der 
vergangenen Jahrzehnte von rund 15.
Insbesondere deutsche Aktien wären demnach eigentlich als 
unterbewertet anzusehen, was als ein klares Kaufsignal zu 
interpretieren wäre. Merkwürdigerweise hat die Rally aber an Dynamik 
eingebüßt, und die Mehrzahl der Anleger ist gemäß den 
Sentimentumfragen - trotz der erwähnten Stimmungsaufhellung - immer 
noch eher bearish eingestellt. Sind viele Investoren etwa nicht mehr 
in der Lage, Chancen zu erkennen, wenn sie sich ihnen bieten?
Erhellend sind in diesem Zusammenhang Ausführungen von Patrick 
Artus, Chefvolkswirt von Natixis. Er argumentiert, dass es aktuell 
gefährlich ist, aus historischen KGV-Vergleichen auf eine 
Unterbewertung von Märkten zu schließen. Es sei durchaus möglich, 
dass es infolge der Krise zu einem irreversiblen Anstieg der von den 
Investoren geforderten Risikoprämien gekommen sei, da die Anleger 
gegenüber den Ausfallrisiken sensibler geworden seien. Ein solches 
Phänomen lasse sich an den Credit-Spreads bereits ablesen. Höhere 
Risikoprämien resultierten aber in einem im historischen Vergleich 
niedrigeren Niveau der von den Marktteilnehmern als normal 
angesehenen Bewertungen. Zudem zeige sich auch in Phasen mit einem 
knapperen Wirtschaftswachstum - womit nach Artus' Einschätzung zu 
rechnen ist - ein Auseinanderlaufen der nur gemächlich reagierenden 
langfristigen Nominalzinsen und des Wirtschaftswachstums. Zudem werde
die durch die Krise hohe öffentliche Verschuldung für ein steigendes 
Zinsniveau sorgen. Beides resultiere in tendenziell niedrigeren 
Kurs-Gewinn-Verhältnissen.
Folgt man Artus, lässt sich nach der rasanten Erholung der 
Aktienmärkte kaum mehr von niedrigen Bewertungen sprechen. Für die 
aktuellen Kursgewinne muss daher eine andere Antriebsquelle vorhanden
sein. Diese gibt es in der Tat: Letztlich ist die hohe 
Überschussliquidität für einen Großteil der Erholung bei Aktien 
verantwortlich. Sie wird den Märkten wohl noch für längere Zeit 
erhalten bleiben, da die Notenbanken noch keine Bemühungen zur 
Normalisierung eingeleitet haben. Da die hochspekulativen Gelder, die
die Märkte beherrschen, aber sehr volatil sind, ist auch weiter mit 
Verwerfungen zu rechnen, wie es sie Anfang der gerade beendeten 
Börsenwoche gegeben hat. Für die Aktienanlage braucht man bis auf 
Weiteres gute Nerven.

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