Börsen-Zeitung: China wird zum Risiko, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Tagtäglich werden die Finanzmärkte mit den Risiken konfrontiert, die sich aus der Schuldenkrise für europäische Aktien, Anleihen und den Euro ergeben. Die Herabstufung der Bonität Irlands um gleich fünf Stufen führt deutlich vor Augen, dass das Problem auch im neuen Jahr für Verunsicherung sorgen und Turbulenzen an den Märkten auslösen wird. Es gibt jedoch noch ein Problem, und zwar eines, dass sich mit der Zeit als noch gravierender erweisen könnte als die Staatsfinanzen der Peripherie Eurolands.
In China droht die Inflation außer Kontrolle zu geraten, was gravierende Folgen weit über das Reich der Mitte hinaus haben würde. Auch im November wurden die Befürchtungen hinsichtlich der Jahresteuerung bei weitem übertroffen. Nach bereits beunruhigenden 4,4% im Oktober kletterte die Jahresinflation, Anfang 2010 noch bei 1,5%, auf 5,1%. Brisant ist die Entwicklung vor allem wegen der hochschießenden Nahrungsmittelpreise, deren Jahresrate im November bei rund 12% lag. Das hat für große Teile der chinesischen Bevölkerung schlimme Folgen, sodass die Regierung soziale Unruhen befürchtet. Hinzu kommt, dass die Immobilienpreise stark anziehen, wodurch Wohnungen und Häuser immer unerschwinglicher werden und außerdem gefährliche spekulative Blasen drohen.
Behörden unter Druck
Die Behörden geraten durch die Entwicklung immer stärker unter Druck. Sechs Anhebungen der Mindestreserveanforderungen und die erste Leitzinserhöhung seit drei Jahren waren erst der Anfang, wie Experten befürchten. So rechnet Barclays für das nächste Jahr mit drei weiteren Leitzinserhöhungen um insgesamt 75 Basispunkte. Außerdem wurden drakonische Strafen gegen Preistreiberei und das Horten von Lebensmitteln angedroht und Nahrungsmittelsubventionen für die ärmeren Bevölkerungsschichten angekündigt. Ob es den Behörden gelingen wird, die Entwicklung in absehbarer Zeit zu bremsen, ist jedoch ungewiss.
Zudem gibt es zahlreiche deutliche Anzeichen dafür, dass die tatsächliche Entwicklung der Preise schlimmer ist, als dies in den offiziellen Statistiken sichtbar wird. Für Aufsehen sorgte im November ein Bericht der Chinese Academy of Social Sciences, demzufolge die offizielle Statistik deutlich hinter der tatsächlichen Preisentwicklung zurückbleibt. In den zurückliegenden fünf Jahren habe der Preisindex der Regierung den Preisanstieg um insgesamt sieben Prozentpunkte zu niedrig ausgewiesen. Indem die Regierung nur acht Subindizes veröffentliche, Veränderungen in den jeweiligen Warenkörben jedoch nicht, bestehe die Gelegenheit, die Inflationszahl "anzupassen".
Drohende Abschwächung
Das prompte und barsche Dementi des Statistikamtes ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Nerven bei den Offiziellen durchaus angespannt sind. Letzten Endes besteht aber auch für die Finanzmärkte Grund, unruhig zu werden. Denn wenn der Inflationsdruck weiter steigt, besteht die Gefahr, dass die chinesischen Behörden noch stärker gegensteuern und eine empfindliche Wachstumsabschwächung auslösen. Mit der deutschen Sonderkonjunktur und der Outperformance des deutschen Aktienmarktes wäre es dann wohl vorbei. Die Marktteilnehmer müssen sich vor diesem Hintergrund darauf einstellen, dass die Entwicklung im Reich der Mitte in den kommenden Wochen zumindest für Volatilitätsschübe sorgen wird.
Allerdings weiß auch die chinesische Regierung, dass sie das Wachstum abwürgen könnte und dann an Stelle des Inflations- ein Arbeitslosigkeitsproblem hätte. Daher hat sie eine Anhebung ihres Inflationsziels von 3% auf 4% avisiert. Aus Sicht der Finanzmärkte verschiebt das jedoch nur die Risiken zulasten der Anleihen. Chinas Geldentwertung ist auch ein Inflationsrisiko der Industrienationen. Denn durch seine Billigprodukte hat es zur moderaten Teuerungsentwicklung in den USA und Europa erheblich beigetragen. Wenn nun aber in China eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt wird, verteuern sich auch die Waren und Zulieferungen aus dem Reich der Mitte, die eine immer wichtigere Rolle in den entwickelten Volkswirtschaften spielen und die zu einem Großteil nicht so ohne weiteres ersetzt werden können.
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