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Börsen-Zeitung: Ein Zinsschritt ist nicht genug, Leitartikel zur bevorstehenden EZB-Sitzung von Stephan Balling

Frankfurt (ots)

Morgen also endet die Periode rekordtiefer Leitzinsen. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Leitzins von 1 auf 1,25% erhöhen. Angesichts heftig steigender Inflationserwartungen an den Finanzmärkten ist der Handlungsdruck auf die Währungshüter enorm. Die in den zehnjährigen inflationsindexierten deutschen und französischen Staatsanleihen eingepreisten Erwartungen sind seit dem dritten Quartal 2010 von 1,3 bzw. 1,6% auf 2,6 bzw. 2,5% gestiegen. Die EZB muss deshalb nun ein klares Signal setzen. Allerdings ist ein einziger Zinsschritt nicht genug, um die Inflationserwartungen wieder unter das Stabilitätsziel der EZB von knapp 2% zu drücken. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sollte deshalb weitere Zinsschritte in Aussicht stellen.

Aber selbst mehrere Zinserhöhungen reichen nicht aus. Das Vertrauen von Bürgern und Marktakteuren in das Währungssystem ist gestört. Szenarien wie das eines generellen Versagens des Währungssystems, die noch vor wenigen Jahren als Märchen veralbert wurden, werden mittlerweile auch von anerkannten Ökonomen nicht mehr als abstrus abgetan. Sicher, die Wahrscheinlichkeit für solch eine extreme Entwicklung ist gering. Aber die Zeichen der Verunsicherung sind doch unübersehbar. Das zeigt sich in den USA, wo etwa der Bundesstaat Utah über Alternativen zum Dollar nachdenkt. Und es zeigt sich global an den Rekordpreisen für Gold und Silber. Sicher ist es noch viel zu früh, von einer "Flucht in Sachwerte" oder einer "Katastrophenhausse" (bekannt auch als "Crack-up Boom") zu sprechen, wie sie der Ökonom Ludwig von Mises in seinem Werk "Human Action" im Jahr 1949 beschrieb. Mises ging davon aus, dass eine zu expansive Geldpolitik zunächst die Preise für Rohstoffe, einige Handelswaren und Dienstleistungen treibt. Das generelle Preisniveau steigt dabei nur leicht, und die Bevölkerung erwartet, dass die Teuerung wieder zurückgeht. "Solange dieser Glaube noch von der öffentlichen Meinung getragen wird, ist es für die Regierung nicht zu spät, ihre Inflationspolitik zu beenden", war Mises sicher. Aber die Gefahr bestehe, dass die breiten Massen irgendwann den Glauben an einen Rückgang der Inflation verlieren könnten. Mises: "Es kommt zum Zusammenbruch. Der Crack-up Boom wird sichtbar." Die Menschen flüchten dann aus ihren Geldbeständen in "reale Güter", unabhängig davon, ob sie diese benötigen oder nicht. "Innerhalb einer sehr kurzen Zeit, wenigen Wochen oder sogar Tagen, werden die Dinge, die zuvor als Geld benutzt wurden, nicht mehr als Tauschmittel verwendet", warnte Mises. "Sie werden Schrottpapier."

Natürlich ist das ein extremes Szenario. Und wie Mises selbst schreibt, kann die Notenbank lange Zeit gegensteuern. Das Problem ist aber, dass derzeit nicht nur Inflation droht. Beispiel Liquiditätshilfen für irische Banken: Medienberichten zufolge stehen die Banken des Inselstaates beim Eurosystem mit insgesamt 177 Mrd. Euro in der Kreide. Die Bundesbank trägt nach dem allgemeinen Schlüssel des Eurosystems davon 27% des Risikos, also rund 48 Mrd. Euro. Das Eigenkapital der Notenbank beträgt dabei nur 5 Mrd. Euro, dazu kommen Rückstellungen von 8 Mrd. Euro. Ein Default mit einem 30-prozentigen Haircut Irlands (und einem Totalausfall der Banken) würde die Bundesbank-Bilanz mit 14 Mrd. Euro belasten, also fast dem Dreifachen des Eigenkapitals. Es mag sein, dass es in der Bilanz noch Positionen gibt, mit deren Hilfe eine vollständige Aufzehrung des Eigenkapitals in dem beschriebenen Szenario verhindert werden könnte. Und natürlich kann eine Zentralbank auch mit negativem Eigenkapital operieren. Aber solche Szenarien, die ja nun nicht völlig unrealistisch sind, sorgen für große Unsicherheit.

Das Eurosystem sollte deshalb nicht nur am Leitzins schrauben. Nötig ist auch eine rasche Rückführung der durch die Krise richtigerweise stark ausgedehnten Zentralbankbilanzen auf Normalniveau. Die unbegrenzte Bereitstellung von Liquidität für die Banken der Eurozone sollte deshalb rasch reduziert werden. Keinesfalls sollte es die offenkundig geplanten neuen, speziell auf die Bedürfnisse irischer Banken zugeschnittenen Kredithilfen durch das Eurosystem geben. Es ist nicht Aufgabe der Geldpolitik, Kreditinstitute am Leben zu halten. Dasselbe gilt für den Kauf von Staatsanleihen zur Stützung maroder Länder. Die EZB hat den Regierungen Europas mit ihren unkonventionellen Maßnahmen Zeit gekauft. Jetzt muss sie die Verantwortung wieder zurückgeben, sich auf ihr Kerngeschäft begrenzen und für stabile Preise sorgen.

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