Börsen-Zeitung: Karlsruher Verfassungsauftrag, Kommentar zur Euro-Klage von Stephan Lorz
Frankfurt (ots)
Schon zu Beginn der mündlichen Verhandlung über die Verfassungsmäßigkeit der Euro-Rettung machte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle klar, dass in dem anhängigen Verfahren nicht über eine Bewertung der ökonomischen Strategie in der Staatsschuldenkrise gerungen werde. Vielmehr gehe es darum, die Grenzen auszuloten, die das Grundgesetz der Politik bei deren Bewältigung setze. Karlsruhe wird in seinem in einigen Monaten erwarteten Urteil also keinerlei Kommentare über das Für und Wider der Euro-Rettung abgeben, wie das mancher erhofft hat. Gleichwohl geht es hier aber um mehr, als nur um die mögliche Verfassungsverletzung des einen oder anderen unter dem Druck der Finanzmärkte durch die Parlamente gepeitschten Gesetzes: Verhandelt wird nicht weniger als die politische Verfasstheit der Eurozone.
Tatsache ist, dass die Integration Europas seit dem Zweiten Weltkrieg durch begrenzte Einzelermächtigungen von Staaten vorangetrieben worden war. Teile von Hoheitsrechten wurden an EU-Institutionen übereignet. Die Mitgliedstaaten blieben indes Herren der Verträge. Doch inzwischen ist die Integration - zuletzt mit der Europäischen Währungsunion - so weit vorangeschritten und haben die europäischen Institutionen ein solches Eigenleben entwickelt, dass sie sich immer mehr Rechte herausgenommen haben, womit Europa eine neue Verfassungsqualität erreicht hat. Ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaft hätte dramatische Auswirkungen auf alle Mitglieder. Zudem tragen die Finanzmärkte dazu bei, dass der Integrationsdruck immer weiter ansteigt. Es ist Aufgabe der Karlsruher Richter als Hüter der Verfassung dafür zu sorgen, dass in dem Integrationsprozess die demokratischen Rechte gewährleistet werden und nicht mit dem Gang durch die Instanzen oder durch hastige Hoheitsübertragungen nach Brüssel ausgehöhlt werden. Deshalb ist zu hoffen, dass Karlsruhe nicht nur wie erwartet die Mitwirkungsrechte des Parlaments in der Europapolitik konkretisiert, sondern auch eine verstärkte demokratische Legitimation auf europäischer Ebene anmahnt. Zudem muss Berlin klargemacht werden, ab welchem Punkt sich weitere Hoheitsübertragungen verbieten, weil sonst der Wahlakt nur noch zum folkloristischen Ereignis verkommt, wenn die Macht nationaler Instanzen gegenüber Brüssel gebrochen ist. In diesem Fall muss Karlsruhe von der Politik schon aus eigenem Verfassungsverständnis heraus ein Konzept einfordern, wie der demokratische Übergang vom National- zum Euro-Staat gemeistert werden kann.
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