Börsen-Zeitung: Deutschland - Italien 1:2, Kommentar zum EU-Gipfel, von Detlef Fechtner.
Frankfurt (ots)
Nach dem EU-Gipfel mag sich der Eindruck einstellen, die Südländer - und allen voran die Italiener - hätten beim nächtlichen Poker in Brüssel einen Kantersieg gegen Deutschland eingefahren. Direkthilfen für Banken, einfacherer Zugang zum Rettungsschirm, Abschied vom bevorzugten Gläubigerstatus des ESM - das klingt gerade so, als habe sich der "Club Med" auf ganzer Linie durchgesetzt.
Diese Beurteilung ist freilich kurzsichtig - genau so wie Mahnrufe, Europa versinke endgültig in einer Schuldenunion, übertrieben sind. Zwei Überlegungen werden dabei ausgeblendet. Erstens sind längst nicht alle Wünsche des Südens erfüllt worden. So gibt es auch nach diesem EU-Gipfel keine Banklizenz für den ESM, keine an Zinsniveaus gekoppelte halbautomatischen Interventionen der EZB, keine gemeinsame Schuldenfinanzierung über Bonds oder Bills. Zweitens darf nicht übersehen werden, dass die hohen Risikoprämien italienischer und spanischer Anleihen nicht nur ein Problem für diese Länder darstellen, sondern auch für die Euro-Partner. Kanzlerin Angela Merkel, Finnlands Regierungschef Jyrki Katainen, der niederländische Premier Mark Rutte - sie alle haben ein ureigenes Interesse daran, dass sich die Politik ernsthaft um Signale bemüht, die helfen, dass die Partner im Süden nicht mit rekordhohen Spreads in die Sommerpause gehen müssen. Hätte der Norden alle Bitten Italiens abgewiesen, wäre das Risiko gestiegen, dass die dortigen Reformkräfte geschwächt werden. Insofern passen die ach so beliebten plakativen Schlagzeilen von der wegknickenden oder überrumpelten Kanzlerin nicht wirklich.
Aber: Es grenzt andererseits an bewusste Irreführung, wenn die Bundesregierung so tut, als sei sie ihrer Position treu und überhaupt alles beim Alten geblieben. Denn das ist es nicht. Wenn in gar nicht mehr so ferner Zukunft beispielsweise italienische oder zyprische Banken direkte Hilfen des ESM erhalten, verlagert sich das Ausfallrisiko (und das dürfte bei diesen Instituten hoch sein) letztlich von der italienischen oder zyprischen Regierung auf den Schirm - kurzum auf die Steuerzahler in Deutschland, der Slowakei oder Österreich. Auch der Verzicht auf den Sondergläubiger-Status des ESM bedeutet zusätzliches Risiko - zu Gunsten des Südens, zu Lasten aller anderen Euro-Partner.
Es gibt in Zeiten gefährlich hoher Risikoprämien gewiss gute Gründe, diese Zugeständnisse zu machen. Die Bundesregierung sollte dann allerdings aufrichtig genug sein, zuzugeben, dass Italien in der nächtlichen Partie in Brüssel etwas mehr erreicht hat als Deutschland.
(Börsen-Zeitung, 30.6.2012)
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