Börsen-Zeitung: Ohne Schwung, Kommentar zur Konjunkturprognose von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots)
Auf den ersten Blick erscheint die aktuelle Prognose der EU-Kommission vielleicht ja ganz erfreulich. Nach langer Zeit kehren die EU-Staaten wieder zu Wachstum zurück. Zugleich sinken die Haushaltsdefizite im Schnitt unter die berüchtigte 3-Prozent-Marke. Aber schon beim zweiten Hingucken wird deutlich, dass Europas Weg aus der Krise beschwerlich und zäh verläuft. Insofern hat EU-Kommissar Olli Rehn völlig recht, wenn er vor frühzeitigem Jubel warnt. Noch ist die Erholung fragil. Denn zum einen wird sie vor allem von Deutschland getrieben. Ohne das - zumindest im Euro-Vergleich robuste - Wachstum der größten Volkswirtschaft stünde für Euroland nächstes Jahr kein Plus, sondern allenfalls ein Plüschen in der Prognosetabelle. Denn in vielen Euro-Staaten ist der Aufschwung zunächst nur ein "Auf ohne Schwung". Spanien, Italien oder die Niederlande werden noch lange brauchen, um wieder an die Wirtschaftsleistung vor der Krise anzuschließen.
Zugleich dokumentieren die jüngsten Zahlen augenfällig, wie schwierig und langwierig das Projekt Haushaltssanierung verläuft. Deutschland ist voraussichtlich nächstes Jahr das einzige Land mit einem Haushaltsüberschuss. Immerhin acht der 17 Euro-Staaten werden derweil sogar noch im Jahr 2015 ein Defizit von mindestens 3% ausweisen. Auch in dieser Hinsicht besteht also noch kein Grund zur Entwarnung.
Nun können die Ausblicke eigentlich nicht überraschen. Dass es nach der schweren Krise Jahre (oder im Falle Griechenlands wohl Jahrzehnte) brauchen wird, um einzelne Volkswirtschaften auf Vordermann zu bringen, war absehbar. Das Vertrauen kehrt nur langsam zurück. Zudem sorgt das weltwirtschaftliche Umfeld für neue Unsicherheiten.
Natürlich hätte EU-Kommissar Rehn gestern den Regierungen im Süden Dampf machen können. Und doch war es gar nicht ungeschickt, dass er vor allem zwei Staaten in die Verantwortung nimmt, indem er ihnen eine Schlüsselrolle zuspricht: Deutschland und Frankreich. Deutschland, weil es in dieser Situation Konjunkturmotor und Stabilitätsanker zugleich ist. Und Frankreich, gerade weil dort vieles, anders als in Deutschland, derzeit überhaupt nicht glattläuft. Positiv formuliert: Hier schlummert Potenzial, um der Konjunktur in Euroland die Dynamik zu verleihen, die sie noch nicht hat. Eigentlich ein cleverer diplomatischer Zug, dass Rehn die beiden Großen im gleichen Atemzug in die Pflicht nimmt. So jedenfalls vermeidet er empörte Reaktionen aus Paris.
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