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Börsen-Zeitung: Nachhilfe von außen, Kommentar zum politischen Weg Deutschlands aus Sicht des Auslands, von Angela Wefers.

Frankfurt (ots)

Während in Berlin die Generalsekretäre der potenziellen großen Koalition zarte Annäherung beim gesetzlichen Mindestlohn verkünden, reibt sich das Ausland erstaunt die Augen. Was ist denn nur in Deutschland los? Nach jahrelanger mühsamer Therapie ist der kranke Mann in Europa endlich genesen. Die deutsche Wirtschaft steht so gut da wie lange nicht mehr, in Europa liegt sie sogar an der Spitze. Statt diese Position zu nutzen, beraten die Koalitionäre über zahlreiche neue Lasten für deutsche Unternehmen, weil hierzulande vermeintlich der Untergang des Sozialstaates bevorsteht.

Eine Italienerin ist es, die der deutschen Politik beim Arbeitgebertag in Berlin die Leviten gelesen hat: ohne Larmoyanz über Schwächen im eigenen Land, ohne Neid und ohne Anflug von Furcht vor deutscher Großmannssucht. Emma Marcegaglia, Finanzchefin im familieneigenen Stahlkonzern mit 6000 Beschäftigten und seit Juli Präsidentin des europäischen Industrieverbandes Business Europa, ist fassungslos darüber, dass sich Deutschland anschickt, Potenzial zu verspielen und die "guten Reformen" der vergangenen Dekaden am Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen wieder zurückzudrehen.

Europa braucht aus der Sicht von außen ein starkes und wettbewerbsfähiges Deutschland. So ungewohnt diese Rolle der historisch belasteten Bundesrepublik ist, so sehr setzen europäische Nachbarländer offenkundig auf eine starke deutsche Wirtschaft und auf die deutsche Politik als Zugpferd aus der Krise.

Das Zutrauen in die Kraft von Präsident François Hollande ist derzeit nicht nur in Frankreich gering, sondern auch in anderen EU-Mitgliedsländern. Zu groß sind die innenpolitischen Probleme der Grande Nation selbst, als dass die Energie noch für Europa reicht. Der politische Weggefährte Deutschlands in Europa fällt gerade aus. Andere Länder wie Italien haben noch Hausaufgaben zu machen. Marcegalia zufolge gelingt dies, auch wenn es ihr nicht schnell genug geht. Spanien hat seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. In Irland, Portugal und Griechenland geht es - wenn auch in unterschiedlichem Tempo - aufwärts.

Die künftigen Koalitionäre in Berlin stehen in der Pflicht, nicht nur Verteilungsfragen im Inland zu lösen, sondern auch die Folgen ihres Tuns für die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaftsregion des alten Kontinents in den Blick zu nehmen. Der Berliner Koalitionsvertrag endet nicht an deutschen Grenzen. Lasten für die deutsche Wirtschaft sind eine Last für Europa.

(Börsen-Zeitung, 20.11.2013)

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