Börsen-Zeitung: Notwendiger Mut, Kommentar zu Siemens von Michael Flämig
Frankfurt (ots)
Können Übergangsjahre erfolgreich bewältigt werden? Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser und sein Finanzvorstand Ralf Thomas haben auf der Jahrespressekonferenz in Berlin vorgeführt, wie es geht. Für jeden Interessenten hatten sie eine gute Nachricht im Gepäck.
Die interne und externe Öffentlichkeit kann sich darüber freuen, dass der Konzern alle wesentlichen Prognose-Ziele erreicht hat. Die Investoren erhalten ihr ersehntes Aktienrückkaufprogramm, das angesichts der steigenden Verschuldung wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist. Die Beschäftigten dürfen den Gratis-Aktien entgegenfiebern, weil der entsprechende 400-Mill.-Euro-Pool bereits zur Hälfte gefüllt wurde. Die Stakeholder mögen ob derlei Präsenten glatt vergessen haben, dass der Umsatz stagnierte und die operative Ergebnismarge leicht sank - wie es halt so ist in einem Übergangsjahr.
Friede, Freude, Eierkuchen. Das ist schön für den Moment, aber gibt kein Momentum. Berlin wird daher aus einem anderen Grund in Erinnerung bleiben. Kaeser hat das Startsignal dafür gegeben, den Konzern wieder auf organisches Wachstum zu trimmen. Überraschend kommt dies natürlich nicht. Schließlich haben die Münchner im vergangenen Jahr die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie den Vertrieb um mehr als 10% erhöht. Im laufenden Jahr sollen zentrale Positionen nochmals um 7% aufgestockt werden. Irgendwann müssen sich derlei Kraftanstrengungen ja am Markt auszahlen. Aber: Auch wenn die Überraschung sich in Grenzen hält, so ist die Fortsetzung der Investitionspolitik doch ambitioniert. Schließlich handelt Siemens nicht in der Internet-Ökonomie, sondern gehört der wachstumsschwachen Infrastrukturbranche an. Fast jede zusätzliche Umsatz-Million muss Wettbewerbern abgeluchst werden.
Der Kurs nötigt also Respekt ab, denn er ist mutig. Dass die Prognose teils sogar vom Wiedererstarken Chinas abhängig ist, wirkt fast waghalsig. Aber wie es auch sei: Kaeser dokumentiert, dass er nach dem abgeschlossenen Kostensenkungsprogramm den Konzern nicht fantasielos in die nächste Sparrunde treiben wird. Der Vorstandschef und seine Mannschaft greifen an, gestärkt durch das extrem gut gefüllte Auftragsbuch.
Aktionäre allerdings haben in bitterer Erinnerung, wie es endete, als Siemens letztmals unter Kaesers Vorgänger zum Angriff auf die Konkurrenz blies: mit absurd hohen Kosten für fehlgeschlagene Projekte. Diese Geschichte darf sich, bei allem notwendigen Mut, nicht wiederholen.
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