Alle Storys
Folgen
Keine Story von Börsen-Zeitung mehr verpassen.

Börsen-Zeitung

Börsen-Zeitung: Kavalierstart am Bondmarkt, ein Marktkommentar von Kai Johannsen

Frankfurt (ots)

Der europäische Primärmarkt für Staatsanleihen legt zum Auftakt des neuen Jahres geradezu einen Kavalierstart hin. Sah es in den ersten Tagen mit Blick auf die erste syndizierte Anleihe 2017 von Portugal noch so aus, als würden die Anleger in Anbetracht geringeren Bondvolumens, kleineren Orderbuchs, höherer Renditen und ausgeweiteter Spreads selektiver beziehungsweise zurückhaltender agieren, hat sich dieser Eindruck komplett in Luft aufgelöst.

Die Emittenten sputen sich, um an den Markt zu kommen und ihre Deals besser heute als morgen unter Dach und Fach zu bringen. Auf der einen Seite heißt es im Handel hierzu, dass die eine oder andere Adresse die Transaktion mit Blick auf die aufkommenden Risikoereignisse durchziehen will. Das scheint unmittelbar nachvollziehbar. Auf der anderen Seite ist hingegen zu beobachten, dass bei den Investoren eine Sache sehr gut zu funktionieren scheint, und das ist die Risikoausblendung. Oder vorsichtiger formuliert: Die Risikoeinschätzung von ein und demselben Ereignis divergiert mitunter sehr stark zwischen Emittent und Investor. Denn wer derzeit die fast schon zum Bersten gefüllten Orderbücher sieht, reibt sich doch schon verwundert die Augen, wie mancher Schuldner eingeschätzt wird.

Ein paar Beispiele: Belgien hat es vorgemacht. Das Land ist kein Krisenstaat, und seine Politiker machen derzeit auch nicht mit merkwürdiger Rhetorik auf sich aufmerksam, aber es ist eben ein Second Tier in der Eurozone. Für eine neue zehnjährige syndizierte Anleihe bekamen die Belgier immerhin ein Orderbuch von mehr als 21,5 Mrd. Euro zusammen. Gut, sei es drum. Viel schiefgehen wird mit dem Bond wohl nicht. Die Italiener kamen auf die gleiche Größenordnung bei den Orders. Von Bankenkrise und Befürchtungen von Auswirkungen für den Staat ist da nicht viel zu spüren gewesen.

Und auch Portugal kann sich nicht gerade darüber beschweren, dass die Investoren das Land durch eine andere Brille sehen, zumindest jetzt nicht, wie an den wieder ins Minus abgetauchten Geldmarktsätzen und höher als angekündigt ausgefallenen Kapitalvolumina bei der Auktion abzulesen war. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Abwarten ist angesagt.

Die Türkei ist dann sicherlich so ein Fall, bei dem der eine oder andere Marktteilnehmer die Augenbrauen hochgezogen hat. Fast kein Tag vergeht, an dem der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan nicht mit Rhetorik auf sich aufmerksam macht. Nun will er auch noch in den Währungskrieg einsteigen. An den Märkten scheint das aber nicht viel auszumachen. Die Türkei will in diesem Jahr 6 Mrd. Dollar über Anleihen besorgen und kam dieser Tage mit dem ersten Bond. Gerade einmal 6,15 Prozent für die zehnjährige Laufzeit mussten die Türken bezahlen. "Es gibt sie wieder", möchte man rufen: die Bonds mit 6 Prozent laufender Verzinsung - mit Blick auf das Rückzahlungsversprechen, das mit diesen Papieren ja vertragsgemäß verbunden ist, lautet das Motto bei vielen Investoren dann wohl Hoffen und Beten.

Und wer kauft so etwas: Jeden zweiten Bond (49 Prozent) nahmen Investoren aus den USA, 26 Prozent die Unabhängigkeit liebenden Briten, nur 11 Prozent blieben bei den Türken und ebenfalls 11 Prozent gingen nach Europa (Rest: sonstige Regionen). Das Orderbuch soll mehr als 6 Mrd. Dollar schwer gewesen sein. Diese Angabe kam aber nicht von den Leads, sondern vom türkischen Treasury, was sicherlich nicht geschönt war. Und wer in der Türkei ordert, kann sich auch einen Argentinien-Bond ins Portfolio legen. Das Orderbuch für zwei Dollar-Titel des ehemaligen Pleitestaates erreichte sage und schreibe mehr als 21 Mrd. Dollar. Da wird bestimmt nichts schiefgehen, wird mancher Anleger im Stoßgebet gen Himmel rufen. Kuwait will angesichts der Orderlage nun auch an den Markt. Hier sind April oder Mai im Gespräch. Angesichts des gegenwärtigen Investorenverhaltens und der Risikowahrnehmung ist aber auch ein viel früherer Auftritt einzukalkulieren.

Aber die Risikoereignisse kommen unaufhaltsam auf den Markt zu. Das sind: Schärfere Rhetorik und die ersten Aktionen des neuen US-Präsidenten Donald Trump, eine schärfere Gangart der Briten in Sachen Brexit, die Wahlen in Europa und mögliche Pleiten für die etablierten politischen Kräfte, die Bankenkrise in Italien und Portugal sowie die weiteren bekannten geopolitischen Krisenherde. Dann könnten die Märkte von heftiger Volatilität geprägt sein, Fenster für Emissionen geschlossen werden und die jetzt emittierten Bonds heftig unter Wasser geraten. Und dann wird eines wieder angesagt sein: Flucht in Qualität. Als Nutznießer werden sich wieder die Bundesanleihen erweisen.

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de

Original-Content von: Börsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Börsen-Zeitung
Weitere Storys: Börsen-Zeitung
  • 19.01.2017 – 20:35

    Börsen-Zeitung: Basta!, Kommentar zur EZB von Mark Schrörs

    Frankfurt (ots) - EZB-Präsident Mario Draghi hat im Grunde genau das geliefert, was zu erwarten war: Zwar hat er die bessere Lage in Euroland mit Blick auf Wachstum und Inflation gewürdigt. Zugleich trat er aber beim Wachstum auf die Euphoriebremse und spielte den jüngsten, rasanten Inflationsanstieg herunter - auch mit dem Ziel, jegliche Debatte über ein vorzeitiges Ende der ultralockeren Geldpolitik im Keim zu ...

  • 18.01.2017 – 20:40

    Börsen-Zeitung: Späte Einsicht, Kommentar zur Deutschen Bank von Bernd Neubacher

    Frankfurt (ots) - Die Deutsche Bank schrumpft nicht nur ihre Bilanz, sondern auch ihre Bonifikationen. Blätterte sie für 2013 noch stolze 3,2 Mrd. Euro an variabler Vergütung hin und für 2014 und 2015 rund 2,7 Mrd. beziehungsweise 2,4 Mrd. Euro, so dürften sich die Entgelte in der anstehenden Runde auf 1,2 Mrd. Euro glatt halbieren. Führungskräfte schauen gar ...

  • 17.01.2017 – 20:40

    Börsen-Zeitung: Die größte Kaimaninsel, Kommentar zum Brexit von Andreas Hippin

    Frankfurt (ots) - Theresa May und ihr Schatzkanzler haben ihr Möglichstes getan, um eine glaubhafte Drohkulisse für den Fall aufzubauen, dass Brüssel dem britischen Wunsch nach einem Freihandelsabkommen nicht nachkommen sollte. Soll man auf dem Kontinent ruhig glauben, dass man die Steuern dann so lange senken wird, bis man zur größten Kaimaninsel der Welt ...