Die US-Zinskurve invertiert, Marktkommentar von Kai Johannsen
Frankfurt (ots)
Nach der Europäischen Zentralbank (EZB) ist bekanntlich vor der Federal Reserve (Fed) - und in schöner Regelmäßigkeit gilt das auch umgekehrt, von kurzfristig anberaumten Krisensitzungen mal abgesehen. Nachdem die Euro-Währungshüter in der abgelaufenen Woche ihre Sitzung hatten, kommen in der neuen Woche ihre Amtskollegen in den USA zu ihren turnusmäßigen Beratungen im Offenmarktausschuss zusammen. Und wenn am Mittwochabend der Zinsbeschluss bekannt gegeben wird, dann wird der Zielsatz für US-Tagesgeld (Fed Funds Rate) bei 0,50 Prozent nach bisher 0,25 Prozent liegen. So werden die jüngsten Äußerungen des Fed-Chefs Jerome Powell von Volkswirten und Marktteilnehmern gedeutet. Und damit soll dann das eintreten, was Akteure als Leitzinswende sehen: Den Ausgangspunkt zu einer Serie von Zinserhöhungen, die die Leitzinsen in den USA deutlich weit weg vom historischen Tief bewegen sollen. Und das inmitten einer neuen Krise - einem Krieg mitten in Europa. Wenn die Auguren da mal nicht die Rechnung ohne den Markt gemacht haben, denn der Bondmarkt sieht das offenkundig ganz anders.
Die Eurodollar-Zinskurve ist invertiert. Eurodollar hat nichts mit der Gemeinschaftswährung zu tun, sondern der Begriff kommt ursprünglich aus dem Halten von Depositen von US-Banken bei Banken außerhalb der USA und damit des Einflussbereiches der US-Notenbank. Vorwiegend wurden diese Gelder bei Banken im europäischen Raum gehalten, woraus die Bezeichnung Euro für diese Dollar resultierte. Diese Kurve ist - vielfach am breiten Markt unbemerkt - zwar schon früher invertiert, und zwar im Laufzeitenpunkt 2024, nun ist die Inversion aber schon auf Juni-Dezember 2023 "vorgerückt". Wie merkt Jamie McGeever von der Nachrichtenagentur Reuters in einer Kolumne völlig richtig an: Die Märkte "wetten" bereits auf Zinssenkungen, noch bevor der Anhebungsprozess der Leitzinsen überhaupt begonnen hat. Einfach ausgedrückt gehen die Bondmärkte im Eurodollar-Zinsbereich davon aus, dass es bereits im zweiten Halbjahr 2023 zu den ersten Zinssenkungen seitens der Fed kommen wird, so McGeever.
Nun mag man argumentieren, dass dies nur eine Inversion in einem Bondsegment ist und sie deshalb nur eingeschränkt aussagekräftig ist. Und was machen denn die US-Staatsanleihen (Treasuries)? Die Kurve von zwei bis zehn Jahren - das Standardlaufzeitband für Analysen - wies im Oktober 2021, also mitten in der Pandemie und weit vor dem Ukraine-Krieg, einen Renditeabstand (Spread) von knapp 130 Basispunkten (BP) auf, d.h. die zehnjährigen US-Staatsbonds lagen bei einer Rendite, die 130 BP über den zweijährigen Sätzen der US-Treasuries war. Seitdem hat sich dieser Spread enorm verringert. Anfang des Jahres war es ein Abstand von rund 90 BP, aktuell liegt er noch bei 23 BP, er war in der abgelaufenen Woche aber schon bei 21 BP - der engste Spread seit zwei Jahren. Offensichtlich gibt der Markt nicht so viel auf die Zinswendediskussion.
Eine flacher werdende Kurve signalisiert im Urteil der Märkte, dass es zu einer wirtschaftlichen Abschwächung kommt, also das Wachstum, die wirtschaftliche Aktivität zurückgeht. Geht die flache Kurve, bei der die Renditen entlang eines bestimmten Laufzeitenbandes zum Beispiel von zwei bis zehn Jahren auf dem gleichen Niveau liegen, schließlich in eine Inversion über, wird dies nach Lesart der Märkte als ein Signal für eine wirtschaftliche Rezession gewertet. Die Bondmärkte preisen mit niedrigeren langfristigen Zinsen, die unter den kurzfristigen Anleiherenditen liegen, das Szenario ein, dass die Notenbank der Wirtschaft mit Zinssenkungen auf längere Sicht unter die Arme greifen muss. Dies wird dann schon mit den niedrigeren langfristigen Bondrenditen vorweggenommen.
In der Vergangenheit war die Zinskurvenveränderung ein verlässlicher Signalgeber. In den vergangenen 60 Jahren ging praktisch jeder Rezession großer Volkswirtschaften eine inverse Zinsstrukturkurve voraus, und zwar mit einem Vorlauf von vier bis acht Quartalen. Die Eurodollar-Kurve zeigt dies also für 2024 - womöglich schon für 2023 - an.
Ohne Frage sind die USA geografisch betrachtet weit weg vom Ukraine-Krieg. In wirtschaftlicher Hinsicht sind sie allerdings sehr nah dran und ebenso wie andere Länder von den Finanzmarkt- und Wirtschaftsauswirkungen über höhere Rohstoff- und Energiepreise stark betroffen. Und je nachdem, wie lang und wie intensiv der Krieg wird, wird auch die US-Wirtschaft erheblich beeinträchtigt. Das R-Wort wird wohl bald häufiger die Runde machen.
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