Börsen-Zeitung: Not macht erfinderisch - Kommentar von Bernd Wittkowski zur teilweisen Privatisierung der Forderungen des Bundes an Rußland
Frankfurt (ots)
Die Pawlowschen Reflexe der Opposition funktionieren noch: Rot-Grün versetze das letzte finanzpolitische Hemd Deutschlands, tönte es aus der CDU, kaum dass die Pläne zur Privatisierung und Platzierung umgeschuldeter Russland-Forderungen des Bundes bekannt waren. Doch die Kritiker machen es sich zu einfach. Sicher löst diese Transaktion nicht die strukturellen Haushaltsprobleme des Bundes. Das ändert aber nichts daran, dass diese Anleihestruktur auf kreative und intelligente Weise hilft, akute Finanznöte zu lindern. Und es ist eben wenig glaubwürdig, immer wieder lautstark über Finanzierungslöcher zu lamentieren, dann aber an allem herumzumäkeln, was geeignet ist, diese Löcher halbwegs zu stopfen.
Bei allem Respekt vor dem ehrenwerten Schuldner Russland, dessen Bonität schon mal schlechter war: Hier wird weder das letzte Hemd noch das letzte Tafelsilber der Bundesrepublik verscherbelt. Berlin nutzt schlicht die Mechanismen des Marktes und bedient sich dabei einer pfiffigen Konstruktion, die Deutsche Bank und Goldman Sachs ausgetüftelt haben und bei der die KfW wieder einmal ihre Nützlichkeit als innovativer Dienstleister für die Strukturierung von Finanztransaktionen (fast) aller Art beweist.
Not macht erfinderisch, auch Haushaltsnot. Und erfunden haben die Finanzingenieure in diesem Fall eine Struktur, die für alle Beteiligten auf unterschiedliche Weise vorteilhaft ist. Der Bund, der für dieses Jahr ein Privatisierungsvolumen von 10 Mrd. Euro gebucht, aber noch nichts davon realisiert hat, kann ungewisse künftige Zahlungseingänge sofort vereinnahmen. Zugleich wird er das Ausfallrisiko los. Beides dürfte dem deutschen Steuerzahler nur recht sein. Die Forderungen landen dort, wo sie längst hingehört hätten, handelte es sich nicht um in hohem Maße politische Forderungen: am Kapitalmarkt. Dieser wird auch über die Werthaltigkeit und damit den aktuellen Preis der Forderungen urteilen. Für Russland, ohne dessen Zustimmung der außenpolitisch sensible Deal nicht laufen könnte, passt die Anleihestruktur in die Strategie, Verbindlichkeiten gegenüber dem Westen teilweise handelbar zu machen. Die Investoren schließlich erhalten mit den erstmals an Zahlungen eines Schuldnerlandes aufgrund von Restrukturierungsabkommen mit dem Pariser Gläubigerclub gekoppelten Anleihen eine neue Asset-Klasse übrigens: auch eine neue Risiko- Klasse. An Nachfrage dafür wird es nicht fehlen. Zu den Gewinnern der Transaktion gehört aber nicht zuletzt der Finanzplatz Deutschland. Die Notes werden unter deutschem Recht begeben und in Frankfurt notiert. Damit stellt dieser Standort seine Innovationsfähigkeit und -bereitschaft unter Beweis.
(Börsen-Zeitung, 25.6.2004)
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