Börsen-Zeitung: Kommentar von Annette Becker zu den Forderungen, den Sanierungsfall KarstadtQuelle zur "Chefsache" zu machen: Finger weg von Karstadt!
Frankfurt (ots)
Stünde es nicht in der Zeitung, würde es keiner glauben. Ausgerechnet die FDP fordert Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, den Sanierungsfall KarstadtQuelle zur Chefsache zu machen und ein Notprogramm für die gesamte Branche aufzulegen. Unterstützt wird FDP- Vize Rainer Brüderle dabei vom CSU-Wirtschaftsexperten Johannes Singhammer. Blanker Populismus!
Auch die Regierung ergreift die Gelegenheit beim Schopf. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bot sogleich Hilfe für die von Kündigung bedrohten Beschäftigten des Warenhauskonzerns an: Die Bundesagentur für Arbeit stehe Gewehr bei Fuß. Klug gedacht, Herr Clement, ist es doch billiger, Angestellte mit staatlicher Unterstützung in Lohn und Brot zu halten, als volles Arbeitslosengeld zu zahlen. Doch wie auch immer die Hilfe, von der Clement spricht, aussehen sollte: es ist der falsche Weg.
Jahrelang hat das Karstadt-Management die Sanierung des Konzerns schändlich vernachlässigt und unter Zustimmung der Aktionäre munter Dividenden aus der Substanz bezahlt. Und nun, wo der Einzelhandelskonzern wohl nicht zuletzt auf Druck der Banken zu radikalen Schritten gezwungen ist, soll die Sanierung auf Geheiß der Politik erneut verschoben werden. Welcher Gläubiger sollte in dieser Situation weitere Kredite zur Verfügung stellen? Welcher Aktionär sollte frisches Eigenkapital einschießen? Um diese Fragen scheren sich weder die Politiker in Berlin noch jene in Mainz oder München. Das sind allerdings die Fragen, denen sich das Management in Essen gegenübersieht. Mit gut einer Hand voll Banken wird derzeit über syndizierte Kreditlinien verhandelt nach Möglichkeit mit mittelfristiger Laufzeit. Dass das Sanierungskonzept mit all seinen Grausamkeiten Basis und zugleich Voraussetzung der Verhandlungen ist, steht außer Frage. Genauso wie die Kapitalerhöhung, zu der sich die Großaktionäre Pool Madeleine Schickedanz und Allianz-Gruppe bestimmt nicht gerne verpflichten ließen.
Ganz sicher tragen Massenentlassungen nicht zur Aufhellung des Konsumklimas bei. Und ganz sicher ist es grotesk, wenn gerade Unternehmen, die vom Konsum leben, mit Massenentlassungen weiter an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Doch zeigt das doch eigentlich nur, wie sehr KarstadtQuelle in die Enge getrieben ist.
All jene, die jetzt zu staatlichem Handeln aufrufen, sollten sich lieber Gedanken machen, warum der deutsche Verbraucher sein Geld nur zögerlich ausgibt. Staatliche Eingriffe auf mikroökonomischer Ebene können eine Volkswirtschaft nicht retten. Kluge, auch unkonventionelle Ideen zur Stimulierung der Konsumnachfrage wären hilfreicher.
(Börsen-Zeitung, 1.10.2004)
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