Börsen-Zeitung: Kommentar von Walther Becker zur Bedeutung von Blockbustern in der Pharma-Branche: Herz-Attacke
Frankfurt (ots)
Zu Risiken und Nebenwirkungen... fragen Sie die Investoren. Nach dem Desaster bei Merck & Co. billig einsteigen? Mit einem unerhörten Verlust von 27 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung wurde der zweitgrößte US-Pharmakonzern von den Anlegern bestraft, als die Company ihr Schmerzmittel Vioxx vom Markt nehmen musste ein Medikament mit gerade 2,5 Mrd. Dollar Umsatz im Jahr.
Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob die harsche Reaktion des Kapitalmarktes gerechtfertigt ist. Vioxx steht für gerade ein Zehntel des Merck-Umsatzes und trägt etwas stärker zum Gewinn bei. Die absehbaren Sammelklagen eingerechnet und den entgangenen Gewinn mit Multiple angesetzt, rechtfertigt dies eine solche Wertevernichtung kaum. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Die Klageflut hat prompt eingesetzt Vioxx wurde seit 1999 vor allem von Rheumapatienten genommen. 84 Millionen Menschen haben die Pille geschluckt. Da schlägt das Herz der Anwälte bei den einschlägigen Sammelklagen-Profis in Amerika höher.
Bei nüchterner Betrachtung ist die Reaktion aber nicht überzogen. Sie legt schlagartig strukturelle Schwächen offen. Gerade drei potenzielle Verkaufsschlager könnten den Weg aus Merck-Labors finden. Und: 2005 geht der Patentschutz für Zocor verloren, das immerhin für ein Viertel des Gewinns steht.
Just ein solcher Cholesterin-Senker drohte Bayer fast den Hals zu brechen die Leverkusener sind von der Lipobay-Krise längst nicht genesen. Während Bayer aus dem Desaster die Konsequenz zog, die Diversifikation sukzessive zu beenden, steht jetzt der reinrassige Pharmaanbieter in Frage. Nicht nur Merck & Co., auch zahlreiche andere sind bei Innovationen schwach auf der Brust. Ihre Pipeline an neuen Milliarden-Medikamenten droht zu versiegen: Dieses Manko veranlasste etwa Sanofi zur Attacke auf Aventis. Unter den großen Anbietern sind bis auf Weltmarktführer Pfizer alle eher dabei, lästige Nachahmer juristisch aus dem Feld zu schlagen, als neue Wirkstoffe zu lancieren.
Der Fall zeigt: Big Pharma ist eine Wette auf wenige Präparate. Haben die Labore Erfolg und ihr Ertrag hängt nicht allein vom F&E- Aufwand ab , dann winken auf Jahre Monopolgewinne. Läuft es bei einem Zugpferd aber schief, dann kommen auch Weltmarktgrößen unter die Räder. Die Volatilität der Unternehmen in einer als wenig zyklisch eingeschätzten Branche wird somit extrem. Die Fusionswelle wurde stets mit dem Zwang begründet, nur mit größerer Finanzkraft könnten Blockbuster gebracht werden. Doch diese Therapie schlägt nicht an, wie die Innovationsarmut zeigt. Für Investoren ist es zu früh einzusteigen jedenfalls bei Merck & Co.
(Börsen-Zeitung, 2.10.2004)
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