Börsen-Zeitung: Ins Gewissen geredet, Kommentar zur Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler von Angela Wefers
Frankfurt (ots)
Es ist immer verdächtig, wenn eine kritische Rede nur positive Resonanz bei den Betroffenen auslöst so wie jetzt die Philippika von Bundespräsident Horst Köhler. Denn in Deutschland hat die Politik ihre Fähigkeit zur Selektion so perfektioniert, dass nur noch wahrgenommen wird, was gefällt. Wie sonst könnten die Beanstandungen neutraler Institutionen Sachverständigenrat, Bundesbank, Bundesrechnungshof regelmäßig so schnell an den Adressaten abperlen?
Die ersten Reaktionen auf die Rede von Horst Köhler sind deshalb ein einstudierter Reflex auf eine aus dem Munde eines Staatsoberhaupts mehr als deutliche Zurechtweisung. Erst am Donnerstag nach dem Job-Gipfel zwischen Regierung und Opposition dürfte sich zeigen, ob die Botschaft doch noch angekommen ist. Köhler hatte nämlich gefordert, bei dieser Zusammenkunft nur Entscheidungen zu treffen, die gegen die hohe Arbeitslosigkeit wirken und alle anderen Wünsche zurückzustellen. Die Rezepte sind allesamt bekannt: Nur niedrigere Lohnnebenkosten, eine entlastende Steuerreform, mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, weniger Bürokratie und mehr Innovationen könnten die deutsche Wirtschaft wieder in Gang bringen und die Zahl der Arbeitslosen mittelfristig senken.
Köhler hatte auch den Mut, eine Geisteshaltung zurechtzurücken, die die Wirtschaft in Deutschland schon lange lähmt, was ihm wäre er nicht der Bundespräsident wohl das Schimpfwort eines Neoliberalen eingetragen hätte. Köhler hat nämlich den schleichenden Verlust der Ordnungspolitik moniert, die Verantwortlichkeit von Staat und Wirtschaft klar voneinander abgegrenzt und sich hinter erfolgreiche Unternehmen gestellt. Es ist eben nicht unmoralisch, Gewinne zu machen. Wäre dies in Deutschland weniger verpönt, käme Wirtschaftsminister Wolfgang Clement nicht auf die abstruse Idee, an modernen Patriotismus zu appellieren und die Unternehmen zu sozialer Verantwortung aufzurufen. Wenn Gewinn erlaubt und Rendite der Maßstab unternehmerischen Handelns ist, fallen auch wieder Entscheidungen für Investitionen und Arbeitsplätze hierzulande.
Um weitere Reformen wird die Politik also nicht herumkommen. Sie hat das Heft des Handelns in der Hand. Ihr steter Versuch, Verantwortung auf die Wirtschaft abzuschieben, bewahrt sie also nicht vor unpopulären Entscheidungen.
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