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Börsen-Zeitung: Freibrief für Schulden, Kommentar von Christof Roche zur Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts

Frankfurt (ots)

Der Präsident der Währungsunion, Jean-Claude
Juncker, hatte mit der Reform des europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakts die Wahl: entweder die Haushaltsdisziplin auf Dauer
sichern oder eine Lösung suchen, die von allen Regierungen
mitgetragen wird. Zum Ende der Verhandlungen entschied sich der
Luxemburger, obwohl selbst einer der Euro-Gründungsväter, für die
politische Variante. Zu stark war der Druck des deutschen Kanzlers
Gerhard Schröder mit Unterstützung Frankreichs, den Pakt nach
Berliner Vorstellung zu überarbeiten.
Und das Ergebnis kann sich aus Sicht des Kanzlers sehen lassen.
Beides, der milliardenschwere deutsche Nettobeitrag an den EU-
Haushalt wie auch die Kosten für die Wiedervereinigung, fließt
künftig in die Brüsseler Bewertungen Berliner Fiskalpolitik ein.
Schröder hat mit der Paktreform endlich die gewünschte „Carte
blanche“, um seine Haushaltspolitik so zu gestalten, dass ihm Brüssel
nicht mehr in die Quere kommt. Denn die gestreckten Fristen zum
Defizitabbau und die Option, einzelne Schritte im Verfahren – wie in
einer Endlosschleife – wiederholen zu können, hebeln den
Sanktionsmechanismus völlig aus.
Als ob das noch nicht reichte, wurde auch an den präventiven Teil
des Pakts, der die Konsolidierung in guten Zeiten sichern soll, Hand
angelegt. Keine Pflichtvorgaben für die Euro-Staaten, die
Neuverschuldung pro Jahr um einen Mindestbetrag zu verringern,
sondern gerade mal das Recht für Brüssel, den Finger bei Verstößen
gegen die mittelfristige Haushaltsplanung heben zu dürfen. Doch
welcher Finanzminister nimmt, wenn ihm am Ende doch keine Strafe
droht, die Kommission noch ernst, wenn diese in Boomzeiten
Steuergeschenke einer Regierung an die Wähler untersagen will?
Auf der Strecke bleibt das Versprechen von Altbundeskanzler Helmut
Kohl, mit dem Stabilitätspakt den Euro auf Dauer so hart zu machen
wie die D-Mark. Die Zeche dafür zahlen aber nicht der amtierende
Kanzler oder dessen Kassenwart Hans Eichel, sondern die künftigen
Generationen. Denn wenn Wachstum nicht mehr über bittere
Strukturreformen erarbeitet werden muss, sondern beliebig
fremdfinanziert werden kann, dann führt das geradewegs dorthin, wo
Italien heute mit seinen horrenden Schulden steht. Und genau das
hatte Kohl mit dem Pakt ja verhindern wollen.
(Börsen-Zeitung, 22.3.2005)

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