Börsen-Zeitung: Die Krise als Chance, Kommentar von Bernd Weber zur Talfahrt des Euro
Frankfurt (ots)
Frankreich hat Europa verraten. Deshalb stürzt der Euro. Reformen werden verschoben. Das wird die ohnehin kaum noch wärmenden Konjunkturöfen der großen Euro-Länder weiter auskühlen lassen. So oder so ähnlich lauten die Kommentare. Bundesbank und Finanzminister sollen das Worst-Case-Szenario, ein Ende der Wirtschafts- und Währungsunion, diskutiert haben. Sollten sie wirklich, selbst wenn ein solches Ereignis nur eine sehr entfernte Möglichkeit darstellt. Es ist immer gut, einen Plan B zu haben.
Aber im Ernst. Was haben die Franzosen getan? Sie haben eine Verfassung abgelehnt, die sage und schreibe mehr als 400 Seiten lang ist. Man sollte deutsche Politiker, die ihre Zustimmung gegeben haben, ernsthaft fragen, ob sie den Text Wort für Wort gelesen und verstanden haben.
Zugegeben. Das Projekt Europa hat vorübergehend einen Rückschlag erlitten. Die Unsicherheit über die Zukunft hat zugenommen. Investitionen könnten zurückgestellt werden. Deshalb hat der Euro an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Aber der Grundstein für Erfolge ist schon oft in der Krise gelegt worden. Insofern böte das Nein der Grande Nation eine Chance, auf Basis der Verträge von Nizza nun eine Verfassung zu entwerfen, die dem Bürger verständlich gemacht werden kann. Dann könnte aus dem kurzfristig nicht zu übersehenden Trümmerhaufen ein neues, beständigeres Gebäude entstehen.
Eines, das auf längere Sicht einen starken Euro beherbergen wird.
Überhaupt. An Glaubwürdigkeit fehlt es nicht nur dem Euro. Die Gemeinschaftswährung steht zwar gerade im Fokus, ist aber nicht allein. Denn der Dollar ist beileibe kein Musterknabe, denkt man an die Defizite, die den Greenback eigentlich schwächen sollten. Somit steht nicht zu befürchten, dass die leidenschaftlichen Dollar- Verkäufer der Vergangenheit dauerhaft die Seite wechseln. Denn die Unzulänglichkeiten, mit denen sich die US-Währung herumschlägt, verschwinden nicht von heute auf morgen.
Außerdem. Was soll denn so schlecht sein an einem schwächeren Euro, hängt die Konjunktur in der Union doch ohnehin am Exporttropf. Ein Rückfall auf 1,10 Dollar, die Mitte zwischen langjährigem Hoch von 1,36 und Tief von 0,84 Dollar, entspräche einer noch normalen Marktreaktion, lieferte eine Konjunkturstütze und brächte die Europäische Zentralbank nicht in die Bredouille einer Zinssenkung.
(Börsen-Zeitung, 2.6.2005)
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