Börsen-Zeitung: Bankentour ohne Epo, Leitartikel von Bernd Wittkowski zum Ende von Gewährträgerhaftung und Anstaltslast
Frankfurt (ots)
Wenn Lance Armstrong mit Erythropoetin gedopt wäre (was wir mitnichten unterstellen) und Jan Ullrich ihm nur deshalb Jahr für Jahr hinterherradeln müsste, wäre die Tour ein unfairer Wettbewerb. So unfair wie bis dato der Bankenwettbewerb in Deutschland. Hier fahren private Anbieter mit der Kraft ihrer auf natürliche Weise trainierten Muskeln. Hingegen spritzen sich die Öffentlich- Rechtlichen stark, erhöhen Leistung und Ausdauer also künstlich. Ihr Epo heißt Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, ihr Vorsprung misst sich in Ratingstufen und Refinanzierungskosten. Das Doping mit dem körpereigenen Hormon wirkt, als habe man einen Hilfsmotor eingeschaltet. Doch anders als im Sport bedeutete dies im Wettbewerb der Banken bisher keinen Regelverstoß und geschah nicht etwa verdeckt. Es war vielmehr selbstverständlicher Teil des Systems und wurde offen praktiziert. Als die Privaten in den frühen neunziger Jahren Anstoß daran nahmen, bestritten die Begünstigten schlichtweg, überhaupt in einer privilegierten Position zu sein.
Vom 19. Juli an wird auch auf der Bankentour ohne Hilfsmotor gefahren. Laut der 2001 zwischen EU-Kommission und Bundesregierung getroffenen Verständigung sind fortan für neue Verbindlichkeiten von Landesbanken und Sparkassen Gewährträgerhaftung und Anstaltslast als unerlaubte Beihilfen abgeschafft. Ebenso wie bereits ein gleichfalls wettbewerbswidriges Wachstumshormon: die Übertragung öffentlichen Wohnungsbauvermögens auf Landesbanken als Eigenkapital zum Gotteslohn.
Das Verdienst, in Brüssel gleiche Wettbewerbsbedingungen erkämpft zu haben, gebührt dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) und der EU- Bankenvereinigung, den Lobbyisten der privaten Institute. Persönlich dürfen sich BdB-Chef Manfred Weber und sein früherer Stellvertreter Wolfgang Arnold den Erfolg ans Revers heften. Freunde im öffentlich- rechtlichen Lager haben die beiden dadurch nicht gewonnen, zumal auch in diesem Rennen mit Ellbogen gearbeitet wird von allen Teilnehmern. Allerdings wird heute wohl kein Landesbanker oder Sparkassenfunktionär noch ernsthaft die bislang genossenen Vorteile bestreiten wollen.
Im Gegenteil: Man gibt Drogenmissbrauch zu und beklagt im Nachhinein sogar die Selbstüberschätzung und Auswüchse, zu denen dieser geführt hat. Wer weiß, dass Fehler nie bestraft werden, weil notfalls der Staat einspringt, neigt dazu, permanent über dem Limit zu fahren. Milliardenverluste von Landesbanken zeugen davon. Insofern dürfte es die S-Finanzgruppe durchaus zu schätzen wissen, dass sie via Brüssel zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit durch neue Geschäftsmodelle und Aufgabe verlustträchtiger Aktivitäten gezwungen wurde.
Aus Sicht des BdB sind mit dem Ende der Staatsgarantien und der Beilegung des Eigenkapitalkonflikts freilich noch längst keine gleichen Startbedingungen gegeben. Die Privaten beklagen eine wegen der Länderbeteiligungen an Landesbanken fortbestehende implizite Staatshaftung, sie monieren, dass die Hälfte der Branche in staatlicher Hand und somit nicht übernahmefähig sei, sie zetteln neuen Streit an, weil wie in Konzernen künftig auch in Verbünden Interbankenfinanzierungen nicht mit Eigenkapital zu unterlegen sein sollen, etc.
Der Finanzplatz ist die unsportlichen Auseinandersetzungen leid. Auch nach Meinung prominenter Repräsentanten privater Häuser wäre es an der Zeit, die Kampfhandlungen einzustellen und sich aufs Geschäft zu konzentrieren. Der BdB sollte endlich akzeptieren, dass es zwei dezentral aufgestellte Verbünde gibt, die größer und teils rentabler sind als private Großbanken und in die man sich nicht ohne weiteres einkaufen kann. Dass sich nicht beliebig Bausteine herausbrechen lassen, ohne das Einstürzen der Gesamtheit zu riskieren, gehört zum Wesen eines Verbundes. Das gilt für Sparkassen und Landesbanken wie für Volks- und Raiffeisenbanken und deren Verbundunternehmen, unabhängig von der Rechtsform. Auch die BdB-Mitglieder Postbank, deren Haupteigner Post die Mehrheit behalten will, und Deutsche Bank sind nicht übernahmefähig (weil wir nicht wollen, so Josef Ackermann). Es ist also kein Spezifikum der Sparkassengruppe, wenn sie sich bisher gegen Konsolidierungsversuche von außen sträubt.
Die Kreditinstitute können und wollen nach eigener Kultur und Tradition auf Grundlage ihres Image bzw. ihrer Marke, ihrer Haftungssysteme und ihrer spezifischen Kundenangebote eigenständig im Wettbewerb bestehen. Zur Vielfalt des Wettbewerbs gehört auch, verschiedene Rechtsformen der Finanzwirtschaft zuzulassen entsprechend den Vorgaben des EU-Vertrages zur Neutralität gegenüber den Eigentumsformen. So das Leitbild der Initiative Finanzstandort Deutschland (IFD), in der Mitglieder aller Gruppen als säulenübergreifendes Team fahren und meist konstruktiv zusammenarbeiten.
Den privaten Banken geht es wie Jan Ullrich: Die Ausreden dafür, dass man den Wettbewerb nicht gewinnt, obwohl der stärkste Gegner ohne unlautere Hilfsmittel fährt, werden immer unglaubwürdiger. Dresdner, HypoVereinsbank und Co. sollten es, was einzelnen Instituten ja durchaus schon gelingt und bei ihnen zu höheren Kundenzahlen führt, einfach mal mit innovativen Produkten und überzeugendem Service versuchen, statt penetrant auf den angeblich immer noch unfairen Wettbewerbsbedingungen herumzureiten.
(Börsen-Zeitung, 16.7.2005)
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