Börsen-Zeitung: Britische Spielwiese, Kommentar von Norbert Hellmann zur Merger Mania auch in der britischen Industrie
Frankfurt (ots)
Nicht nur in den USA greift die Merger-Mania um sich. Auch in Europa werden Großkonzerne von einem Konsolidierungsfieber erfasst, das von guten Aktienmarktbedingungen und billigen Finanzierungsmöglichkeiten getrieben wird. Dass britische Unternehmen im Mittelpunkt des Geschehens stehen, überrascht kaum, wohl aber die Tatsache, dass sie sich derzeit weniger als aggressive Käufer denn als begehrte Zielobjekte hervorheben.
In einer Zeit, in der die Diskussionen über nationale Champions wieder aufgeflammt sind und sich auf beiden Seiten des Atlantiks Politiker mit Vehemenz dafür einsetzen, den Ausverkauf von Industrien, die sie als Schlüsselindustrien definieren, an Ausländer zu verhindern, wirkt Großbritannien wie eine Insel der Seligen. Hier lassen sich wachstumsstarke Großunternehmen einsammeln, ohne dass sich potenzielle Käufer mit populistischen oder politisch motivierten Gegenoffensiven abquälen müssen.
Billig sind sie deswegen allerdings nicht zu haben. Derzeit im Fokus stehen Unternehmen wie der Baustoffkonzern BPB, dem die französische Saint-Gobain nachstellt, der Versorger Scottish Power, auf den Eon ein Auge geworfen hat, oder der Logistikspezialist Exel, den die Deutsche Post gerne schlucken würde. Sie wissen ihre Haut teuer zu verkaufen und brauchen sich von den eigenen Aktionären keine Anschuldigungen gefallen zu lassen.
Vereinzelt finden sich Kommentatoren, die das Schlagwort vom level playing field einbringen. Sie bemängeln, dass ausländische Unternehmen aus politisch geschützten Sektoren, die zudem verdächtig duldsame Aktionärskreise aufweisen, zuschlagen können, ohne befürchten zu müssen, selber angegriffen zu werden. In der Londoner City aber verweist man stoisch darauf, dass die Stärke des britischen Wirtschaftsmodells gerade auf der Offenheit des Finanzmarktes beruhe, und setzt Verkauf nicht mit Ausverkauf, sondern mit optimaler Ressourcenverwendung gleich.
Auch haben sich die Briten daran gewöhnt, dass ganze Industriezweige in ausländische Hände gehen wohlwissend, dass die wirtschaftliche Macht des Landes im Finanzdienstleistungssektor liegt. Angesichts der Konzentration von Investmentbanken am Standort London ist es auch gerade dieser, der via Beratermandate und Finanzierungen von der Übernahme britischer Unternehmen besonders profitiert.
(Börsen-Zeitung, 15.9.2005)
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