Börsen-Zeitung: Francionis mutige Heimkehr, Kommentar von Christopher Kalbhenn zum Amtsantritt von Reto Francioni als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse
Frankfurt (ots)
Nur äußerst selten kehren in gegenseitigem Zerwürfnis aus einem Unternehmen ausgeschiedene Führungskräfte an ihre alte Wirkungsstätte zurück. Eine solche Ausnahme ist Reto Francioni. Von 1993 bis 2000 Mitglied des Vorstands der Deutschen Börse, seit 1999 als Stellvertreter Werner Seiferts, tritt der Schweizer heute als Vorstandsvorsitzender an.
Doch die Heimkehr Francionis ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Tatsächlich war die Zahl der Kandidaten, die für den Posten ernsthaft in Betracht gezogen werden konnten, bei weitem nicht so groß wie die Anforderungen. Genau darin liegt die Stärke Francionis. Der ehemalige Präsident der Schweizer Börse SWX empfahl sich in mehrfacher Hinsicht, drängte sich für das Neuorientierung benötigende Unternehmen geradezu auf.
Einer der Vorzüge ist, dass Francioni die Deutsche Börse aus seiner langjährigen Tätigkeit für das Unternehmen sehr gut kennt. Das hat unter anderem zur Folge, dass der Einarbeitungsbedarf erheblich geringer ist, als dies bei allen anderen Kandidaten der Fall gewesen sein dürfte. Allerdings hat der neue Vorstandsvorsitzende auch nicht viel Zeit, sich einzuarbeiten. Denn es stehen wichtige Entscheidungen an. Dazu zählt gleich zum Auftakt die Zukunft der Eurex US. Dieses kostspielige Engagement muss voraussichtlich beendet werden, es sei denn, es ließe sich eine anderweitige Lösung darstellen, die die Börse doch noch auf die Erfolgsspur bringen könnte.
Die Herausforderungen, vor denen Francioni steht, gehen jedoch viel weiter. Es ist gewiss nicht übertrieben, Francionis Heimkehr als mutig zu bezeichnen. Jedenfalls steht er vor der schwierigsten Aufgabe seiner bisherigen Laufbahn. Im Vordergrund wird dabei die Rolle stehen, die das Unternehmen zukünftig in der europäischen Börsenkonsolidierung spielen soll, nachdem der von Seifert kompromisslos verfolgte große Wurf die Einverleibung der London Stock Exchange (LSE) durch den Aufstand der Aktionäre zu Grabe getragen worden ist.
Dadurch eröffnen sich für die Deutsche Börse jedoch auch Chancen. Denn erst mit dem Antritt des neuen Vorstandsvorsitzenden befreit sich das Unternehmen wirklich vom Traum der Übernahme der LSE, der nicht nur unerfüllbar war, sondern auch wertvolle Kapazitäten blockiert hat.
(Börsen-Zeitung, 1.11.2005)
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