Börsen-Zeitung: Der BGH baut auch Brücken, Kommentar zur Aufhebung der Freisprüche im Mannesmann-Verfahren von Bernd Wittkowski.
Frankfurt (ots)
Die Aufhebung eines Freispruchs ist keine Verurteilung. Rücktrittsforderungen gegen Josef Ackermann sind auch nach der am Mittwoch verkündeten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Mannesmann-Revisionsverfahren wohlfeil. Wie jeder andere nicht rechtskräftig verurteilte Angeklagte hat der Chef der Deutschen Bank Anspruch auf die im Rechtsstaat geltende Unschuldsvermutung. Das sollten diejenigen bedenken, die nun mit populistischen Schlussfolgerungen aufwarten.
Dessen ungeachtet ist für Ackermann und seine Mitangeklagten mit dem BGH-Urteil fast das übelste der nach der mündlichen Revisionsverhandlung denkbaren Szenarien Realität geworden. Von einem Nebenschauplatz abgesehen hat der 3. Strafsenat die Freisprüche des Landgerichts Düsseldorf vollumfänglich aufgehoben, freilich mit den zugrunde liegenden Feststellungen. Letzteres mögen die Angeklagten und ihre Verteidiger als Trost in der juristischen Niederlage empfinden, denn die Karlsruher Richter haben sozusagen die Reset-Taste gedrückt. Somit ist der Ausgang der neuen Hauptverhandlung, die vor einer anderen Düsseldorfer Strafkammer in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres stattfinden dürfte, grundsätzlich offen.
Der Nachteil: Ackermann & Co. werden ein weiteres Mal auf der Anklagebank sitzen müssen, und wenn sich die Neuauflage des Prozesses auch nicht ganz so lange hinziehen sollte wie der erste Versuch die Beteiligten haben dazugelernt , wird es doch sicher keine Angelegenheit, die man en passant erledigt. Drei Monate mit zwei Verhandlungstagen pro Woche sind keine unrealistische Erwartung. Diese Doppelbelastung muss man sich als Chef eines großen Unternehmens zumuten wollen. Und nicht nur der Betroffene persönlich, auch sein berufliches und sein privates Umfeld müssen die öffentliche Diskussion aushalten, die nun erneut hochkocht übrigens auch dank des nicht gerade hilfreichen lauten Nachdenkens von Aufsichtsratschef Rolf-Ernst Breuer über mögliche Nachfolgelösungen. Andererseits: Die Diskussion bliebe Ackermann auch bei einem Rücktritt kaum erspart, die Fortsetzung des Strafverfahrens sowieso nicht.
Der BGH hat mit kernigen Formulierungen geurteilt, was bei der nachträglichen Gewährung von Prämien geht und was nicht. Der Senatsvorsitzende Klaus Tolksdorf hat bei der Verkündung darüber hinaus mit eindrucksvollen Worten die von Teilen der Wirtschaft geäußerten Vorwürfe gegen die Justiz aufgegriffen. Er stellte die berechtigte Frage in den Raum, ob manche der Kritiker, gemeint waren wohl nicht zuletzt Ackermann und Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser, die Bodenhaftung verloren hätten. Eine Vorverurteilung ist aber auch das nicht. Die von der Düsseldorfer Strafkammer zu treffenden Feststellungen vor allem zur bisher unzureichend ausgeleuchteten subjektiven Tatseite ermöglichen auch die Straflosigkeit einer objektiv vorliegenden Untreue. Auch das Fehlen einer Selbstbereicherung Ackermanns und anderer Angeklagter erlaubt explizit eine relativierende, mildere Betrachtung. Bei aller Entschiedenheit des Urteils: Der BGH hat den Beschuldigten und der Strafkammer auch Brücken gebaut.
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