Börsen-Zeitung: Wer braucht noch Börsen? Kommentar zur Börsenstruktur von Bernd Weber
Frankfurt (ots)
Neu ist die Forderung der Finanzorganisationen aus London, Frankreich und Italien nicht, Wertpapierabwicklung und -abrechnung in Europa zu je einem Monopol zu machen und es unter die Herrschaft der Nutzer zu stellen. Nur wird der Druck größer, wenn ein solcher Vorstoß am Tag vor einem Treffen europäischer Bankenmanager mit EU- Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy zu ebenjenem Thema veröffentlicht wird.
Welche integrierte Organisation die größten Einschnitte erleiden würde, ist eindeutig. Es ist die Deutsche Börse. Denn der Vorschlag impliziert: Herausbrechen der beiden größten Ertragslieferanten Eurex Clearing und Clearstream aus der Wertschöpfungskette des Wertpapierdienstleisters. Egal, wie viel Geld die Deutsche Börse für beide Teile erhalten würde. Mit Handel und Verwahrung allein müsste die Strategie komplett überdacht werden, und die Reaktion des Aktienkurses könnte fatal ausfallen.
McCreevy, der grenzüberschreitende Aktiengeschäfte günstiger und effizienter machen will, wäre gut beraten, sich nicht allein von den nun vorgetragenen Argumenten leiten zu lassen, auch wenn die Abwicklungslandschaft in Europa wirklich stark fragmentiert ist. Dafür hätte er durchaus Gründe. Nationale Unterschiede im Rechts- und Steuerbereich behindern den grenzüberschreitenden Handel ganz erheblich. Die Kommission arbeitet an beiden Problembereichen, und McCreevy wird bei seiner Entscheidung, ob Clearing und Settlement reguliert werden oder die Entwicklung dem Wettbewerb überlassen bleibt, diese ebenso wie eine Auswirkungsstudie berücksichtigen, die Ende März vorliegen soll.
Dass beim Thema Wettbewerb nun viele Investmentbanken Brüssel rufen und ein Monopol fordern, verwundert, wird von ihnen doch meist die Kraft des Marktes beschworen, dessen dann ja wohl zu konstatierendes Versagen in dem Papier übrigens keine Erwähnung findet. Oft zitierte Probleme der Interoperabilität zwischen den Clearern und Abwicklern sind jedenfalls im Wesentlichen gelöst.
Werden die Forderungen umgesetzt, könnte sich folgendes Szenario ergeben. Clearing und Abwicklung gehören den Banken, der Wertpapierhandel befindet sich dank Internalisierung ebenfalls stärker in ihrem Zugriff, und in der Verwahrung sind sie ohnehin schon stark. Wer braucht dann noch Börsen?
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