Börsen-Zeitung: Francioni macht Druck, Kommentar von Christopher Kalbhenn zu den strategischen Ausführungen auf der ersten Bilanzpressekonferenz des neuen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Börse, Reto Francioni
Frankfurt (ots)
Die erste Pressekonferenz des neuen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Börse, Reto Francioni, war überaus bemerkenswert. Vor allem seine ausgeprägten strategischen Vorstellungen überraschten das Publikum. Kurz zusammengefasst: Die beste Konsolidierungslösung für die Deutsche Börse ist ein Zusammenschluss mit Euronext, die trotz der wesentlich höheren Marktkapitalisierung des Frankfurter Marktbetreibers partnerschaftlich sein soll, wobei allerdings das Management am Main residieren soll.
Damit geht Francioni nicht nur in die Offensive, sondern setzt auch den potenziellen Partner unter Druck. Dieser sträubt sich nämlich gegen die Annäherungsversuche, weil er fürchtet, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz letztlich Junior-Partner zu werden. Allerdings hat der CEO des Börsenbündnisses, Jean-François Théodore, ein gewaltiges Problem. Denn zu seinen Aktionären zählt eine Gruppe von Hedgefonds, die mit ihren Anteilen von insgesamt über 20% eine Hauptversammlungsmehrheit hinter sich bringen könnten und ebenjene Zusammenlegung der beiden Marktbetreiber fordern, die sich Francioni auf die Fahne geschrieben hat.
Noch in anderer Hinsicht setzt Francioni Akzente. Seine Andeutung, im Fall einer Fusion über die Errichtung eines einheitlichen europäischen Clearing-Hauses für den Aktienhandel mit sich reden zu lassen, ist etwas völlig Neues, das seitens der Deutschen Börse bislang noch nicht zu hören war. Es ist auch ein kluger Schachzug, kommt Francioni damit doch auf der Clearing-Ebene dem Wunsch wichtiger Teile der europäischen Finanzindustrie nach einheitlichen Instanzen für die Nachhandelsprozesse entgegen.
Unübersehbar ist jedoch, dass ein Zusammenschluss noch sehr weit weg und sein Zustandekommen keineswegs eine ausgemachte Sache ist. Insbesondere in Frankreich, aber auch bei den belgischen und niederländischen Finanzinstituten bestehen erheblich Vorbehalte gegen eine Fusion, bei der Euronext der kleinere Partner ist. Ein Hauptknackpunkt ist zweifellos die Sitzfrage. Francioni hat deutlich zur Bedingung erklärt, dass das Management in Frankfurt untergebracht wird. Das wird in Paris nicht gerade auf große Begeisterung stoßen. Vor allem dort wird Francioni noch sehr viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.
(Börsen-Zeitung, 23.2.2006)
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